Claudia Berner ist die Geschäftsführerin des gleichnamigen Autohauses in Meutlingen, ihr Ehemann Martin Prokurist. Seit dem zu frühen Tod ihres Vaters vor sieben Jahren hatte schon ihre Mutter Marianne den Betrieb geleitet. Als Claudia nach der Geburt ihrer Tochter Anouk mit Julian einen Sohn zur Welt brachte, blickte die Familie hoffnungsvoll auf eine männliche Führungskraft. Doch leider sind die Schulnoten des inzwischen Fünfzehnjährigen nicht besonders gut und zum Leidwesen spricht er dem Alkohol zu.
Zu Ehren des einhundertjährigen Bestehens hat das Autohaus zum Empfang geladen. Claudia, die eine Rede halten will, hält unruhig Ausschau nach der noch fehlenden Anouk. Endlich erscheint sie, allerdings in unpassender Kleidung und mit einem jungen Mann, den sie als Joshua vorstellt. Während der erwarteten Rede lässt Claudia die Bombe platzen und übergibt die Leitung des Autohauses an ihren Ehemann Martin. Sie selbst will für das Amt der Bürgermeisterin kandidieren, wobei sie auf die Unterstützung ihrer Freundin und Wahlkampfmanagerin Ceyda bauen kann.
Marianne, die unter Schlafstörungen leidet und auf Rezept Cannabis bekommt, ist von dem Vorhaben ihrer Tochter nicht angetan. Auch der amtierende Bürgermeister Abele wendet sich an Marianne, die Claudia umstimmen soll. Unterdessen erwartet die Familie zum achtzehnten Geburtstag von Anouk deren Erscheinen. Das Geschenk, ein Auto, wartet in eine Schleife gehüllt auf die neue Besitzerin, die jedoch nicht erscheint. Als Julian den Anwesenden sein Handy mit einer Liveberichterstattung präsentiert, bei dem Klimaaktivisten mit ihren Händen auf dem Straßenasphalt festkleben, sind alle bestürzt, zumal Anouk unter den Festgeklebten ist.
Völlig unverständlich reagieren Anouks Eltern auf deren Wegzug in eine WG und den Abbruch ihres Abiturs. Da Claudia zumindest die Inhalte der Aktivistengruppe „Fünf nach zwölf“ nachvollziehen kann und versucht, ihre Tochter zu verstehen, auch wenn sie die Methoden zur Erreichung ihrer Ziele ablehnt, wirft ihr Martin vor, dass sie Anouk immerzu verteidigen würde. Erschwert wird die Situation durch Marianne, die von Claudia verlangt, ihre Enkelin zur Vernunft und nach Hause zu bringen. Auf Julian, der nur Öl ins Feuer gießt, kann Claudia ebenso wenig bauen wie auf ihren Mann, von dem sie sich zunehmend entfremdet.
Amelie Fried hat in ihrem Roman Der längste Sommer ihres Lebens* die Aktivitäten der Klimaaktivisten „Letzte Generation“ in den Focus gerückt, wobei sie die unterschiedlichen Aspekte deutlich herausgearbeitet hat. So hält Marianne, die stets pflichtbewusst war und eigene Wünsche zurückstellen musste, sämtliche Aktivisten für verwöhnte Kinder, die noch nichts im Leben geleistet haben und nicht schätzen, was ihre Generation aufgebaut hat. Joshua, dem sie für die Veränderungen ihrer Enkelin die Schuld gibt, erinnert sie bei aller Ablehnung an ihre erste Liebe. So gehen ihre Gedanken zurück ins Jahr 1968, wo sie inmitten der Osterunruhen nach dem Tod von Rudi Dutschke auf Klaus traf. Indes denkt ihre Tochter Claudia wehmütig daran, dass sie Politik studierte, um nach Kolumbien in die Entwicklungshilfe gehen zu können, was jedoch die Schwangerschaft mit Anouk verhinderte. Diese nun volljährig gewordene junge Frau hält ihrer Familie vor, die Augen vor dem Hochwasser im Ahrtal, den Waldbränden und vermehrt auftretenden Stürmen die Augen zu verschließen. Ihre Generation müsste ausbaden, was ihre Vorfahren versäumt hätten und wäre dazu verdammt, in einer kaputten Welt weiterzuleben. Letztlich hat die Situation bei jedem einzelnen der fünfköpfigen Familie eine Veränderung herbeigeführt.
Für eine realistische Wiedergabe hat sich die Autorin umfänglich beraten und sich von Mitgliedern sowie Unterstützern der Letzte Generation Einblicke in ihr Denken und Handeln geben lassen. So haben die Handlungspersonen im Roman Der längste Sommer ihres Lebens* neben dem Ankleben ihrer Hände auf dem Asphalt einen Anschlag auf ein Gemälde mit erheblichem Sachschaden verübt, den Flughafenverkehr gestört und als letztes Mittel, da Demonstrationen nichts gebracht hätten, zum Hungerstreik gegriffen.
Das hochbrisante Thema ist von Amelie Fried spannend umgesetzt worden und könnte durchaus in einer Familienrunde oder einem Zusammentreffen von Freunden für Zündstoff sorgen, wobei nicht aus den Augen verliert werden sollte, dass die Länder, die sich des Problems annehmen, in der Minderheit sind und insofern nur einen minimalen Beitrag leisten können. Aber wie heißt es so schön im letzten Satz des Plots? „Wenn viele kleine Menschen an vielen kleinen Orten viele kleine Schritte tun, dann werden sie das Gesicht der Welt verändern.“
Der längste Sommer ihres Lebens von Amelie Fried
Heyne Verlag 2024
Hardcover mit Schutzumschlag
432 Seiten
ISBN 978-3-453-27298-9