Die diplomierte Biologin Agnes ist seit sechzehn Jahren mit dem Arzt Tom Morgenthaler verheiratet. Mit dem 16-jährigen Jonas und seiner zwei Jahre jüngeren Schwester Emma leben sie in einer großzügigen Altbauwohnung im Westen Hamburgs. Bevor sie sich eines Tages zu einer, so glaubt sie, langweiligen Vortragsreihe mit ihrem Mann treffen soll, hilft sie noch ihrer Freundin Britta in einer Bildungs- und Förderstätte, tauscht rasch ihre Arbeitskleidung gegen ein Etuikleid und besteigt einen Zug. Zu spät stellt sie fest, dem Anlass nicht entsprechend gekleidet, frisiert und geschminkt zu sein. Absolut underdressed sieht sie sich mitten elegant gekleideter Gäste, und als Jonas auch noch die Auszeichnung Excellence Award für seine Arbeit erhält, was offensichtlich alle außer ihr wussten, wird es ihr endgültig zu viel und sie rennt weinend aus dem festlichen Saal.
Ihr Mann folgt ihr, doch kann er ihr lautstarke Vorwürfe nicht ersparen, da er immerhin für das luxuriöse Leben der Familie hart arbeitet, während sie nur den Haushalt führt und gelegentlich bei Britta aushilft. Mit ihrer unpassenden Erscheinung würde sie ihn vor seinen Kollegen blamiert haben. Grußlos lässt er Agnes zurück, der die Kränkungen ihres Ehemannes hart zugesetzt haben. Sie flüchtet in ein Hotelzimmer und denkt über das Angebot von Britta nach, die ihr von einer freien Stelle in Berlin beim Pflanzenschutzamt erzählt hat. Agnes beschließt, sich mit Hilfe von Google Maps zu Fuß entlang der Elbe von Hamburg nach Berlin aufzumachen.
Katja Keweritsch schreibt in ihrem Roman Agnes geht im Wechsel von den Ereignissen der Eheleute. Tom sieht sich plötzlich ganz neuen Aufgaben gegenüber. Als er seine Tochter zum Reitturnier begleitet, muss er sie frühzeitig mit schlechtem Gewissen zurücklassen, weil er nach einer Massenkarambolage hinter dem Elbtunnel in den OP gerufen wird. Er trifft einen früheren Kommilitonen und bei einem Bummel durch ein Viertel, wo er als Jugendlicher Graffitis an Mauern gesprayt hat, trifft er auf seinen alten Kumpel Oliver. Hier wird Tom mit seiner Vergangenheit konfrontiert, denn ein Unfall des gemeinsamen Freundes Olli gab erst den Ausschlag dafür, dass er Arzt wurde.
Agnes begegnet auf ihrer Wanderung, die sie trotz schmerzhafter Blasen an den Füßen fortsetzt, dem Fotografen Per, mit dem sie zum ersten Mal in einem Baumzelt übernachtet und Bastian, der in einer Datsche lebt. Mit viel Einfühlungsvermögen kann er sie von ihren Minderwertigkeitsgefühlen bezüglich ihres Körpers befreien und Agnes fühlt sich so glücklich und frei wie schon lange nicht mehr. Seit Jahren war sie in ihrem „Muttiversum“ gefangen und niemand interessierte sich dafür, welche Zukunftspläne sie hatte.
Die Wanderung ihrer Protagonistin hat Katja Keweritsch zum Anlass genommen, eine Menge Lokalkolorit und interessante Informationen zur Elbe sowie der Pflanzen- und Tierwelt in den Plot einfließen zu lassen. In diesem Zusammenhang ist das erwähnte Dolbearsche Gesetz faszinierend, nach dem die Zirprate einer Grillenart nach einer inzwischen vereinfachten Formel Aufschluss über die Temperatur der Grillenumgebung gibt. Bereits im Jahr 1897 wurde das von dem Physiker Dolbear bekannt gegeben. Der in erster Linie für Frauen aufschlussreiche Roman Agnes geht, der mit ungeahnten Überraschungen aufwartet, ist eine Auseinandersetzung mit der Rollenverteilung von Mann und Frau, wobei die Emanzipation immerhin schon dazu geführt hat, dass Männer Windeln wechseln und einkaufen, aber die zuvor nötige Planung und Organisation den Frauen überlassen. Zudem hat sie anhand der Gedanken von Tom deutlich gemacht, wie Menschen in einem „Hamsterrad“ gefangen sind, ohne es zu merken und Luxus anhäufen, den sie nicht brauchen und der sie auch nicht glücklich macht.