Das Zimmer von Jonas Karlsson

Das ZimmerErst vor zwei Wochen hat Björn eine neue Stelle bei einer Behörde in Stockholm angetreten. Mit dreiundzwanzig Kollegen ist er in einem Großraumbüro untergebracht. Sein Schreibtischnachbar Håkan verhält sich ihm gegenüber eher abweisend, und auch das Verhältnis zur Empfangsdame Margareta kühlt nach kurzer Zeit ab. Björns Kollegen wundern sich wie auch sein Chef Karl darüber, dass er gelegentlich einfach so, völlig still und in sich gekehrt, an der Wand zwischen dem Aufzug und der Toilettentür steht. Doch Björn behauptet, dort ein kleines Zimmer mit einem Computer und Aktenordnern im Regal entdeckt zu haben.

Da er niemand von der Existenz des Zimmers überzeugen kann, sucht er selbst nach Beweisen und vermisst das Büro, indem er die Tapetenbahnen zählt und mit einem Lineal die Abmessungen bestimmt. Demnach ist eigentlich gar kein Platz für ein Zimmer, und er kann sich selbst die offensichtlich raffinierte Architektur nicht erklären. Doch „Das Zimmer“ muss es geben, denn schließlich schöpft er dort neue Kraft.

Jonas Karlsson verrät von seinem Protagonisten Björn weder etwas über sein Privatleben, noch darüber, ob er Freunde hat oder was er in seiner Freizeit macht. Auch über das Aussehen von Björn, der von seiner Arbeit in einem Großraumbüro in der Ich-Form berichtet, erfährt der Leser nichts. Über seinen Charakter weiß er dafür umso mehr: Er ist ein Streber, der die Arbeit sogar noch mit nach Hause nimmt, besitzt ein übersteigertes Selbstbewusstsein und zwanghafte Züge, wenn er den Arbeitstag streng danach einteilt, wann er sich den Gang zur Toilette erlaubt.

Das Zimmer, das räumlich nicht wirklich existiert, steht in dem Roman von Jonas Karlsson eher für einen Zufluchtsort, den sich Björn wünscht und den er dringend benötigt. Wo er in einem überschaubaren Raum seine Gedanken ordnen und eine qualitativ gute Arbeit leisten möchte. Dem Raum kann demnach eher die Bedeutung einer Metapher zugesprochen werden. Mit wenig Worten drückt der Autor in einem nur wenige Seiten umfassenden Roman sehr eindringlich das aus, was so viele junge Menschen in der heutigen Zeit vermissen. Da wird die gute alte Waage aus Omas Zeiten wieder zum Kultobjekt und gerne stellt man ein antikes Einzelstück aus dem Vintage-Möbellager als Blickfang in die Wohnung.

Der Roman von Jonas Karlsson will deutlich machen, dass nicht alle Errungenschaften zum Wohle des Menschen sind, wobei das Großraumbüro sicher nur stellvertretend für vieles steht, was auf Dauer krank macht. Oft merkt der Einzelne gar nicht, wie er „gelenkt“ wird und nur noch funktioniert. Als Lesezeit müssen für den Roman „Das Zimmer“ nur wenige Stunden eingeplant werden, doch gedanklich beschäftigt er wesentlich länger und wird im Idealfall sogar dem ein oder anderen Anstoß dafür sein, sich in einem ihm möglichen Rahmen für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen einzusetzen.

Das Zimmer von Jonas Karlsson

Das Zimmer
Übersetzung von Paul Berf
Luchterhand Verlag 2016
Hardcover mit Schutzumschlag
172 Seiten
ISBN 978-3-630-87460-9

Bildquelle: Luchterhand Verlag
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