Die leuchtende Republik von Andrés Barba

Die leuchtende RepublikEin ehemaliger Jurastudent erinnert sich, wie er vor zweiundzwanzig Jahren nach San Cristóbal kam und in Estepí zum Leiter der Sozialbehörde befördert wurde. Dort heiratete er die drei Jahre ältere Maia, die bereits eine neunjährige Tochter gleichen Namens hatte. Bevor er selbst bei einem Spaziergang mit der kleinen Maia Zeuge wurde, wie eine Frau von fünf Kindern ausgeraubt wurde, wies erstmals eine Abgeordnete die Sozialbehörde auf das Problem bettelnder Kinder hin. Nachdem abermals Passanten von Kindern überfallen wurden, die den Polizisten „in einer unverständlichen Sprache“ geantwortet haben und sich bei dem Versuch der Polizisten, den Jüngsten der Kinder festzunehmen, versehentlich ein Schuss löste, wurde immerhin ein Krisentreffen einberufen. Doch trotz eines tödlich getroffenen Polizisten und seinem Kollegen, der im Gefängnis auf seinen Prozess wartete, gab die Polizei in einem Land, in dem das Morden an der Tagesordnung steht, den Ermittlungen gegen Kriminelle den Vorrang.

Der Leiter der Sozialbehörde erinnert sich weiter, dass damals niemand wusste, wohin sich die 32 Kinder in der Nacht begeben haben. Man ging davon aus, dass sie im Dschungel untergetaucht sind. Nach den Feiertagen, als die schwüle und drückende Hitze immer unerträglicher wurde, gab es einen Überfall auf den Dakota-Supermarkt, woraufhin die Kinder für vier Monate im Urwald untertauchten. Aber dann verschwanden plötzlich innerhalb von vier Tagen drei eigene Kinder und man sah es an der Zeit, eine Razzia durchzuführen.

Andrés Barba hat seinem Protagonisten in seinem Roman „Die leuchtende Republik“ keinen Namen gegeben. Es kann vermutet werden, dass es sich bei San Cristóbal um eine Provinzstadt im tropischen Regenwald handelt, fiktiv sind allerdings Estepí, wo der Protagonist Arbeit fand, und der Fluss Eré. An keiner Stelle findet sich eine Erklärung, von wo die fremden, verwahrlosten Kinder stammen, die sich in einer der spanischen Sprache ähnlichen verständigt haben. Teresa Otaño wird die Entdeckung eines Codes der Kinder zugesprochen und vier Geschwisterkinder, die über telepathische Fähigkeiten verfügen, kommunizieren mit ihnen. Was mit den drei Kindern aus der eigenen Gemeinschaft passiert ist, ob sie jemals wiedergefunden wurden, bleibt offen.

Nur in ganz wenigen Ausnahmen findet sich eine wörtliche Rede in den Erinnerungen des Protagonisten: In der Ich-Form berichtet dieser nicht nur, was ihm alles zu den wie aus dem Nichts auftauchenden Kindern einfällt, sondern er erinnert sich beispielsweise an ein Konzert seiner Ehefrau Maia, einen Autounfall seiner Hündin, die später auch noch Larven der Dasselfliege unter der Haut hatte, oder an ein Fernsehprogramm, wobei er diese Geschichten ausführlich in literarischer Sprache ausführt. Der gesamte Plot wirkt real, da eine statistische Untersuchung angeführt und häufig ein konkretes Datum für ein Unternehmen genannt wird. So auch für die am Ende stattfindende Razzia, wobei im Detail erklärt wird, wie die Suchenden ausgestattet wurden und natürlich auch was sie vorfanden. Dass alle Kinder umkamen, erfährt der Leser schon ziemlich früh, wenn von 32 Leichen in einer Sporthalle die Rede ist, nur weiß er noch nicht, auf welche Weise deren Tod eintrat.

Der Grund für die Aufarbeitung des Leiters der Sozialbehörde ist wohl, dass auch ihm eine Mitschuld an der Entwicklung der Ereignisse zugesprochen wurde. Interessant ist, dass Maia ihrem Ehemann vor Aufbruch zur Razzia sagte, er solle keine Angst davor haben, die Kinder zu finden. Denn dieser Gedanke macht wie die „drei widersprüchlichen, sich jedoch ergänzenden Reaktionen: Empörung, Rachlust und Mitleid“, zu denen es damals kam, nachdenklich. Der Leser wird mit der Frage konfrontiert, ob Strafen tatsächlich abschrecken und an die mögliche Reaktion von Menschen erinnert, die völlig teilnahmslos Zeuge einer Gewalt werden und beim anschließenden Protokoll die Tatsachen auch noch verdrehen. Der in Großschrift gehaltene Roman „Die leuchtende Republik“ ist eine philosophische Auseinandersetzung über uns vertraute Dinge und wie mit Unbekanntem umgegangen wird.

Die leuchtende Republik von Andrés Barba

Die leuchtende Republik
Übersetzung von Susanne Lange
Luchterhand Verlag 2022
Hardcover mit Schutzumschlag
224 Seiten
ISBN 978-3-630-87599-6

Bildquelle: Luchterhand Verlag
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