Das Mädchen aus Glas von Julie Hilgenberg

Das Mädchen aus GlasUnter der Bezeichnung Osteogenesis imperfecta, umgangssprachlich auch Glasknochenkrankheit genannt, verbirgt sich eine genetisch bedingte, selten auftretende Erbkrankheit, bei der die Knochen leicht brechen und die bis heute nur symptomatisch behandelt werden kann. Elisa von Treue, die Protagonistin in dem Roman „Das Mädchen aus Glas“ von Julie Hilgenberg, weiß seit ihrem siebten Lebensjahr, dass sie daran erkrankt ist. Ihre Eltern August und Pauline, die verständlicherweise sehr besorgt um sie sind, lassen Elisa seitdem kaum aus dem Haus, und ihr Arzt Johannes Friedmann verschreibt zu ihrem Schutz Medikamente, die sie ermüden und viel schlafen lassen. Sein Sohn Wilhelm ist für die Heranwachsende der einzige Freund.

Als Elisa im Jahr 1913 vierundzwanzig Jahre alt ist, überrascht sie ihr Vater mit der Nachricht, einen Ehemann auserwählt zu haben. Den Süßwarenfabrikant haben einzig und allein geschäftliche Interessen zu dieser Entscheidung bewogen, da Emil Lindquist, der Vater seines zukünftigen Schwiegersohns, ein angesehener Privatbankier ist. Elisa, die jedoch den mittlerweile selbst praktizierenden Arzt Wilhelm Friedmann liebt, ist von dem Vorschlag ihres Vaters alles andere als angetan. Obwohl sie vehement protestiert, wird sie zur Heirat mit Louis gezwungen, dem Schlägereien, Alkoholexzesse und mindestens eine Affäre mit Rosalie von der Heyt nachgesagt werden und den sie zutiefst verachtet. Louis, der ebenfalls von seinem Vater mit einer Erpressung zur Eheschließung gezwungen wird, versucht vergeblich, seinen Vater umzustimmen. Während der Erste Weltkrieg aufzieht, lernt Elisa unbekannte Seiten an ihrem Ehemann kennen und kommt ihm näher.

Die Handlung des Romans „Das Mädchen aus Glas“ ist in einer Zeit angesiedelt, in der den Frauen ausschließlich die Haushaltsführung und Erziehung der Kinder oblag. Julie Hilgenberg führt aus, wie Frauen und Kinder der Unterschicht in den Fabriken als billige Arbeitskräfte ausgenutzt wurden, zwölf Stunden schuften mussten und in den Wohnungen kein warmes Wasser hatten, während die Gedanken der zur Oberschicht gehörenden Frauen ihrem geschnürten Korsett galten, das beim nächsten Ball eine gute Figur garantieren sollte. Wie die Autorin am Beispiel von Elisas Mutter Pauline deutlich macht, erwartete ein Ehemann von seiner Frau keine Widerrede, auch dann nicht, wenn er gegen ihre Überzeugung eine Entscheidung getroffen hat; sie hat unterwürfig zu schweigen.

Im Gegensatz zu Pauline hat Louis Tante Florence für die damalige Zeit erstaunlich freizügige Ansichten. Elisa fühlt sich zu ihr hingezogen, zumal sie in ihrem Wunsch, das Leben kennenzulernen, bestätigt wird. Aber auch mit ihrer Schwägerin Hanni genießt sie das Shoppen und nur allmählich kann sich Elisa, die stets als zartes Geschöpf beschrieben wird, an den Umgang ihres Ehemanns mit seinen Freunden Hans und Rudolf gewöhnen. Die Gräuel des Krieges werden in dem chronologisch aufgebauten Plot erst auf den letzten Seiten thematisiert: Während Louis seine Einberufung erhält, arbeitet Wilhelm als Feldarzt und muss im Lazarett eine schwere Entscheidung treffen. Julie Hilgenberg setzt bei den stets jugendfreien Bettszenen auf die Fantasie ihrer Leser und spricht mit ihrem in flüssigem Schreibstil und überraschenden Wendungen verfassten Roman in erster Linie Frauen an, die sich von herzzerreißenden Gefühlen und damit einhergehenden intriganten Aktionen mitreißen lassen.

Das Mädchen aus Glas von Julie Hilgenberg

Das Mädchen aus Glas
Diana Verlag 2020
Klappenbroschur
512 Seiten
ISBN 978-3-453-36057-0

Bildquelle: Diana Verlag
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