Eine ungewöhnliche Begegnung mit Folgen
Werner Weber besucht mit der fünfzehnjährigen Karin Mohrmann, die er bislang lediglich unter dem Namen „Die Lange Stille“ kannte, einen Tanzunterricht. Für den Abtanzball wünscht sie sich, seine Partnerin zu sein. Doch zum Tanztee ist er stets mit Angela gegangen – da ist guter Rat teuer! Ehe er sich versieht, „geht“ er bereits mit der Langen Stillen, die dies mit knappen Worten beschließt.
Karin stellt ihren Eltern den neuen Freund vor und macht kein Geheimnis aus ihrer Absicht, Werner heiraten zu wollen. Während Mutter Elke gegen den jungen Mann ist, kann dieser Elkes Vater, Dr. Arnulf – Leiter eines Röntgeninstituts mit „zwei linken Händen“ – von seinen Qualitäten beim Bäumefällen überzeugen.
Berufliche Wendungen und erste Erfolge
Da Werner zum Leidwesen von Elke Mohrmann das Gymnasium ohne Abitur verlassen muss, beginnt er eine Ausbildung zum Chemigrafen in einem Betrieb, in dem auch sein inzwischen von der Ehefrau getrennt lebender Vater arbeitet. Mit achtzehn Jahren leistet sich Werner ein möbliertes Zimmer. Seine finanzielle Situation verbessert sich zunehmend – als Musikkritiker und Gründer der Firma „Werner Weber Werbung“.
Doch keine Glückssträhne hält ewig an. Weil Werner bei manchen Äußerungen besser hingehört hätte, nimmt sein Leben eine unvorhergesehene Wendung.
Rückblick aus dem Hamsterrad
Irmin Burdekat erzählt in seinem Roman Die Lange Stille* die Lebensgeschichte seines Protagonisten Werner Weber, der nach einem Zusammenbruch im Krankenhaus liegt – worauf die jedem Kapitel vorangestellte Zeichnung eines Hamsterrades bereits hinweist. Seine Therapeutin rät ihm, die zur Krise führenden Ereignisse aufzuschreiben. So beginnt er mit der Erinnerung an die Tanzstunden, sein Elternhaus, berichtet von Karin Mohrmanns späterem Medizinstudium und den Höhen und Tiefen seines Lebens, bei dem er nach eigener Erkenntnis zu lange auf der Überholspur war – sowie von seiner Beziehung zur Langen Stillen.
Da er dem weiblichen Geschlecht gegenüber kein Kostverächter ist und als Einundzwanzigjähriger lieber seiner Geilheit als dem Verstand folgt, sind Probleme vorprogrammiert – ebenso wie jene, die aus Bequemlichkeit und Schusseligkeit entstehen.
Sprachwitz und Perspektivwechsel
Während die Niederschrift des Protagonisten in der Ich-Form wiedergegeben wird, wechseln Passagen zum Geschehen im Hause Mohrmann sowie zur beruflichen Entwicklung von Tochter Karin in den Erzählstil. Irmin Burdekat spielt auf vortreffliche Weise mit Wörtern: Bei ihm bekommt beispielsweise das Wort „Fortschritt“ eine völlig neue Bedeutung. Seine Leser vermag er köstlich zu amüsieren, etwa wenn er an die pikante Affäre des ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton mit seiner Praktikantin Monica Lewinsky erinnert.
Zum Schmunzeln provoziert der Autor, wenn Werner in seiner Naivität immer wieder aufs Neue in ein Fettnäpfchen tritt oder einen ihm eigenen analytischen Blick auf bevorstehende Ereignisse wirft.
Humor, Zeitgeist und ein abruptes Ende
Über lange Strecken beherrscht die Aussage „Das Glück ist mit die Doofen“ die humorvolle Geschichte, die den Leser auf Kosten des Protagonisten erheitert. Dabei steht weniger das Interesse am weiteren Handlungsverlauf im Vordergrund, als vielmehr der Genuss jeder einzelnen Buchseite – etwa bei Umschreibungen wie „eine feindlich gesinnte Kreuzspinne mit Dauerwelle“, mit der Werner die Mutter von Karin beschreibt.
Der Roman Die Lange Stille* ist in einer Zeit angesiedelt, als das Druckverfahren von einer Druckform, für die zunächst ein Klischee erstellt werden musste, einer großen Umstrukturierung zum heute üblichen Offsetdruck unterlag. So gibt es auch den im Plot vorgestellten Beruf des Chemigrafen seit Ende des letzten Jahrtausends nicht mehr.
Den Leser erwartet eine herausragende, hinter menschliche Schwächen blickende Geschichte – mit einem fast schon überstürzten Ende.