Historische Wurzeln moderner Anschläge
Der Ursprung der Anschläge auf das World Trade Center im September 2001, gefolgt von denen in London im Juli 2005 und in Berlin auf dem Weihnachtsmarkt im Dezember 2016, reicht laut dem Politikwissenschaftler Winfried Veit bis ins 12. Jahrhundert zurück. In seinem Buch Graff oder Allahs Zorn im Garten Europas* beschreibt Veit, wie religiöse Fanatiker – getrieben von Machtstreben und Reichtum – in die Fußstapfen ihrer Vorgänger aus vergangenen Jahrhunderten treten. Diese These bildet den Ausgangspunkt seines Romans, in dem das Grenzgebiet zwischen Frankreich, Deutschland und der Schweiz eine Schlüsselrolle einnimmt.
Kommissar Graff und die Spur des Fanatismus
Der im Elsass beheimatete Kommissar-Oberst Jean-Jacques Graff stößt auf einen Zeitungsartikel über randalierende Jugendliche in Straßburg, die das System hassen, das ihnen keine Chance im Leben bietet. Ein Bericht eines algerischen V-Mannes macht deutlich, dass seit Anfang 1995 die Krawalle im Vorort Neuhof zunehmen – einem der sogenannten „Vorstädte des Islam“ in Frankreich. Als Verantwortlicher für die Bekämpfung des ausländischen Terrorismus will Graff mehr über die Hintergründe erfahren und zieht den Journalisten Harri Germann sowie die Professorin Gerlind Waldenegger zurate. Doch als er sich mit dem V-Mann treffen will, findet er nur noch dessen Leiche.
Eine mysteriöse Botschaft aus Beirut
Kurz darauf erhält Graff ein Fax aus Beirut von Germann und Waldenegger mit der Bitte, die Herren Friedrich von Hausen, Lazarus von Schwendi und Jean-Baptiste Kléber zu grüßen. Neugierig geworden, sucht der Kommissar die Nationalbibliothek auf und verbringt dort mehrere Tage mit den Studien dieser berühmten Männer aus dem Elsass. Ziel seiner Recherche ist es, die Beweggründe islamischer Fundamentalisten zu verstehen, deren erklärtes Ziel „die Errichtung eines weltweiten islamischen Gottesstaates“ ist.
Historische Persönlichkeiten als Schlüssel zur Gegenwart
Der Roman von Winfried Veit gliedert sich grob in zwei Teile. Einerseits versucht Kommissar Graff zu verstehen, was die heutigen Anschläge mit den im Fax genannten historischen Persönlichkeiten verbindet. In etwa der Hälfte des Plots erweckt der Autor diese Figuren zum Leben, indem er das Geschehen wie in einem historischen Roman schildert.
Der Leser erfährt zunächst etwas über das Leben und Wirken Friedrichs von Hausen, der in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts lebte und in Diensten von Kaiser Friedrich I., auch Barbarossa genannt, stand. Seine Truppen gelangten unter anderem in die antike Stadt Hierapolis, die – ähnlich wie das bei Touristen beliebte Pamukkale – über warme Quellen verfügt.
Es folgen die Eroberungen von Lazarus von Schwendi, der Mitte des 16. Jahrhunderts lebte und in Diensten der Kaiser Karl V. und Maximilian II. stand, sowie die Ereignisse um Jean-Baptiste Kléber, der in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts während der Feldzüge von Napoleon Bonaparte wirkte – Feldzüge, die oft von großer Grausamkeit geprägt waren.
Ein Roman zwischen Lokalkolorit und Geschichtsstunde
Winfried Veit zeichnet in seinem Roman Graff oder Allahs Zorn im Garten Europas* ein präzises Bild der sozialen Struktur von Straßburg-Neuhof. Neben der Vermittlung von Lokalkolorit gelingt es ihm, die Atmosphäre aller Schauplätze in bildhafter Sprache einzufangen. Seine Einblicke in frühere Jahrhunderte gestaltet er durch fiktive Reden seiner Protagonisten lebendig und eindrucksvoll.
Allerdings sollte der Leser keinen spannungsgeladenen Plot mit sich überschlagenden Ereignissen erwarten – zumal Kommissar Graff offenbar keinen Vorgesetzten hat, dem er Rechenschaft über seine Ermittlungen ablegen muss. Der Autor, der wie ein wandelndes Geschichtslexikon wirkt, hat seinen Roman den orientalischen Minderheiten gewidmet und zeigt eindrucksvoll die Gründe auf, die zur Radikalisierung führen.
Eine Geschichtsstunde – auf geniale Weise in eine bildreiche Sprache umgesetzt!
Graff oder Allahs Zorn im Garten Europas von Winfried Veit
Altan Verlag 2021
Klappenbroschur
465 Seiten
ISBN 978-3-930472-04-8