Wolfgang Seidels Sachbuch über unternehmerische Kontinuität
Wolfgang Seidel beginnt sein Sachbuch Die ältesten Familienunternehmen Deutschlands* mit der Vorstellung eines um 1200 gegründeten Weinguts – der ältesten Familienunternehmung überhaupt –, das heute in der dreißigsten Generation geführt wird. Der Autor berichtet über die weltweit älteste Glasmanufaktur sowie den weltgrößten Verlag und weiß zu erzählen, dass nicht nur eine der vorgestellten Unternehmungen ihren späteren Erfolg als Apotheke begründet hat. Während der Erfolg im Fall der beliebten Steiff-Plüschtiere einem Zufall zu verdanken ist, erscheint ein anderer kaum vorstellbar: Denn statt eines Startkapitals gab es lediglich Schulden.
Historische Einordnung und technische Meilensteine
Um dem Leser die zeitliche Einordnung zu erleichtern, zieht Seidel Vergleiche zu den Schaffenszeiten von Goethe, Mozart, Shakespeare und Napoleon. Mit einer Fülle an Hintergrundinformationen und Querverweisen stellt er bahnbrechende technische Fortschritte aus verschiedensten Bereichen wie Chemie, Medizin, Physik, Pharmazie und Botanik vor und erklärt auch komplexe Zusammenhänge auf verständliche Weise.
Wie ein roter Faden ziehen sich die Auswirkungen insbesondere des Zweiten Weltkriegs auf die Familienunternehmen durch das Buch. Dabei befanden sich unter den damaligen Inhabern durchaus auch Unterstützer des NS-Regimes. In diesem Zusammenhang erwähnt der Autor die von ihnen beschäftigten Zwangsarbeiter völlig wertneutral. Auch auf Carl Hagenbecks Idee, neben Tieren exotisch anmutende Menschen dem Publikum zu präsentieren, geht Seidel nicht weiter ein.
Wissensdurst und überraschende Fakten
Die thematische Vielfalt macht den Reiz des Sachbuchs Die ältesten Familienunternehmen Deutschlands* aus und stillt den Wissensdurst der Leser. Den einen interessiert die zum UNESCO-Weltkulturerbe zählende Speicherstadt in Hamburg, den anderen, wann die Preisbindung im Einzelhandel aufgehoben wurde oder dass Haare bis ins frühe 20. Jahrhundert ausschließlich mit Kernseife gewaschen wurden.
Wer hätte vermutet, dass es bereits im Jahr 1856 Haltestifte für künstliche Zähne gab, dass Bleistifte nie Blei enthielten, dass Zucker bis Mitte der 1830er Jahre ein Luxusgut war oder dass Miele einst Autos produzierte?
Auswahlkriterien und klimatische Zusammenhänge
Seidel erhebt für seine Zusammenstellung keinen Anspruch auf Vollständigkeit und betont, dass weder Umsätze noch Erträge für die Auswahl entscheidend waren. Es überrascht nicht, dass Banken und Verlage die Liste der vorgestellten Familienunternehmen dominieren – ebenso wie alles rund um Alkohol: ob Wein, Bier oder Hochprozentiges.
Für die Brauerfamilien gibt es einen eigenen Anhang. Der Autor weist darauf hin, dass im Mittelalter in Altbayern noch Wein angebaut wurde – eine Praxis, die im 16. Jahrhundert bis zur Goethezeit aufgrund der einsetzenden kleinen Eiszeit nicht mehr möglich war. Dieser Umstand sollte im Kontext der heutigen Diskussion um die Erderwärmung nicht unbeachtet bleiben.
Fazit: Ein facettenreiches Werk
Seidel schließt sein spannend zu lesendes und gut recherchiertes Werk – was auch die verwendeten Bibliographien belegen – mit einem Anhang über Verlegerfamilien ab.
Die ältesten Familienunternehmen Deutschlands von Wolfgang Seidel
FinanzBuch Verlag 2019
Hardcover mit Schutzumschlag
336 Seiten
ISBN 978-3-95972-246-9