Die weiße Laterne – Shaw Kuzkis bewegender Jugendroman über Erinnerung und Verlust

Ein literarischer Blick auf die Folgen des Atombombenabwurfs auf Hiroshima

Buchcover des Jugendromans: Die weiße Laterne

Historischer Hintergrund und Mahnung

Shaw Kuzki gehört zur Nachfolgegeneration der Opfer des Atombombenabwurfs auf Hiroshima am 6. August 1945. Damals starben siebzigtausend Menschen sofort – und bis Ende des Jahres kamen weitere siebzigtausend hinzu. Wie die Autorin in ihrem Roman Die weiße Laterne* schildert, herrschte im Epizentrum eine Temperatur von über 4.000 Grad, sodass Körper schmolzen und selbst Gebäude im Umkreis von zwei Kilometern in Brand gerieten.

Alljährlich gedenkt Japan diesem unfassbaren Ereignis: Am 6. August um 8.15 Uhr läuten im Friedenspark Hiroshima die Glocken. Hibakusha, die Überlebenden, berichten von ihren Erlebnissen. Am Abend werden bunte Papierschiffchen – wie Laternen gestaltet – auf dem Fluss Motoyasu zu Wasser gelassen.

Protagonistin Nozomi und die Begegnung mit der Vergangenheit

Im Zentrum des Romans steht die zwölfjährige Nozomi. Mit ihrem kleinen Bruder Akiyuki und ihren Eltern nimmt sie am Gedenken zum 25. Jahrestag der Bombardierung teil. Dabei begegnet sie einer alten Frau, die fassungslos auf Nozomis Alter reagiert und wissen will, ob sie eine ältere Schwester habe. Nozomi verneint, stellt daraufhin ihre Mutter zur Rede – erhält jedoch weder auf diese Begegnung noch auf die Bedeutung der unbeschrifteten weißen Laterne plausible Antworten.

Familienverstrickungen und Lehrer mit Vergangenheit

Im Frühjahr besuchen Nozomi und ihre Großmutter den Friedhof. Dort trifft Nozomi auf ihren hinkenden Kunstlehrer Yoshioka-sensei, den auch ihre Großmutter kennt und dessen einstige Verlobte Satoko war. Aufgrund einer Strahlenkrankheit muss Yoshioka eine Unterrichtspause einlegen – der „große Blitz“ hatte ihn zwar nicht direkt getroffen, doch suchte er später im verstrahlten Zentrum nach Satoko.

Gemeinsam mit ihren Mitschülern Kōzō und Shun besucht Nozomi den Lehrer im Sanatorium. Berührt von der Geschichte, fertigt sie ein Bild an, das Yoshioka hilft, seine Erinnerungen zu verarbeiten. Beim nächsten Gedenktag traut sich Nozomi, ihre Mutter erneut nach der weißen Laterne zu fragen. Nach der Entlassung des Lehrers lassen auch die Kinder mit ihm ein Schiffchen zu Wasser.

Einzelporträts – Schicksale und Schuld

In gesonderten Kapiteln erzählt Kuzki weitere Einzelschicksale:

  • Shuns Großmutter berichtet von Sudō-san, die sich ihr Leben lang Vorwürfe machte, ihren Sohn Kenji wütend weggeschickt zu haben – kurz bevor der „große Blitz“ ihn tötete.
  • Lehrer Yoshioka zeichnete im Krieg grausame Szenen, wie vom Militär befohlen, und zerstritt sich darüber mit Satoko. Er sah sie unbewusst zum letzten Mal, als sie das Schulgelände verließ. Als Erinnerungsstück blieb ihm nur ein Kamm, den er ihr geschenkt hatte.

Nozomi entscheidet sich, für das Kulturfest ein Bild von ihrem Lehrer und Satoko zu malen, während Shun sich für ein Porträt von Kenji entscheidet.

Offene Wunden und stille Rituale

Im Gespräch mit Großmutter Hotta-san erfährt Nozomi, dass ihre Mutter Yuriko einst Shinji geliebt hat – und jedes Jahr zu dessen Gedenken eine weiße Laterne auf den Fluss setzt, mit stiller Zustimmung ihres Ehemannes.

Die Autorin beschreibt eindringlich, wie den Opfern nach der Explosion die Haare ausfielen, sie Blut erbrachen und schließlich starben. Viele erkrankten an Leukämie; Nachkommen leiden unter Mikrozephalie. Sie berichtet auch von Kunststudenten, die als „nutzlos für das Land“ früh in den Krieg geschickt wurden. Männer der Spezialeinheit Tokkō verwendeten Kaiten – Mini-U-Boote – als lebende Bomben gegen feindliche Schiffe.

Gedenken mit Tiefe – ein Roman für Jung und Alt

Der im Plot erwähnte Atombombendom – auch Atombombenkuppel genannt – ist ein reales Friedensdenkmal im Hiroshima-Friedenspark. Eine kurze Erklärung dazu wäre hilfreich gewesen.

Der aus dem Japanischen von Sabine Mangold übersetzte Jugendroman überzeugt mit tiefgründigem Wissen über ein unmenschliches Kapitel der Geschichte. Obwohl für Leser ab zwölf Jahren gedacht, spricht er auch Erwachsene an. Besonders bemerkenswert ist die Information, dass es im Japanischen drei Schreibweisen für Hiroshima gibt:

  • Für die Stadt vor dem Abwurf
  • Für die verwüstete Stadt
  • Für die wiederaufgebaute Stadt

Angesiedelt ist der nachdenklich stimmende, zugleich herzerwärmende Roman Anfang der 1970er Jahre.

Die weiße Laterne von Shaw Kuzki

Farbig leuchtende Papierlaternen – orange, gelb, grün und weiß – treiben auf dunklem Wasser
Übersetzung von Sabine Mangold
Baobab Books 2025
Hardcover
136 Seiten
ISBN 978-3-907277-29-4

Bildquelle: Baobab Books

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