Alltag und Herausforderungen in der Psychiatrie: Ein Blick hinter verschlossene Türen

Buchcover des Sachbuchs Mein Bruder der Nichtraucher

Zwangseinweisungen: Ein gesellschaftlich relevantes Thema

Laut einem Bericht der Frankfurter Rundschau vom 12. März 2010 werden jährlich rund 100.000 Menschen gegen ihren Willen in einer geschlossenen psychiatrischen Einrichtung untergebracht. Besonders auffällig ist dabei das regionale Gefälle: In Bremen ist das Risiko einer Zwangseinweisung etwa 15-mal höher als im Saarland. Nicht eingerechnet sind in dieser Zahl die Patienten, die sich freiwillig einer Therapie unterziehen. Diese Statistik verdeutlicht, dass es sich bei den Betroffenen nicht um eine Randgruppe, sondern um einen relevanten Teil unserer Gesellschaft handelt.

Einblicke in den Klinikalltag: Erfahrungen eines Pflegers

Seit 1995 arbeitet Thorwald Börner als Krankenpfleger in einer bewusst anonym gehaltenen psychiatrischen Abteilung. In seinem Buch Mein Bruder der Nichtraucher* gewährt er anhand eindrucksvoller Fallbeispiele Einblicke in den Alltag dieser oft verborgenen Welt. Zunächst erläutert er die gesetzlichen Grundlagen für Zwangseinweisungen und beschreibt, mit welchen Mitteln – medikamentös oder durch Fixierungen – Patienten ruhiggestellt werden. Dabei handelt es sich häufig um Nichtsesshafte, Drogenabhängige oder an Demenz Erkrankte.

Herausforderungen für das Pflegepersonal

Pflegekräfte sehen sich im Klinikalltag teilweise mit randalierenden Patienten konfrontiert, wobei auch obszöne Ausrufe keine Seltenheit sind. Menschen mit einer Schizophrenie stellen dabei nicht nur das Pflegepersonal, sondern mitunter auch andere Patienten vor große Herausforderungen. Das medizinische Personal muss sich dabei manchmal sogar den Bräuchen fremder Kulturen beugen, ohne Einfluss auf diese nehmen zu können. Immer wieder überrascht zudem der Einfallsreichtum der Patienten, wenn es um Manipulation oder das Umgehen von Regeln geht.

Systemkritik und bewegende Schicksale

Börners Buch beschränkt sich nicht auf die Schilderung von Klinikabläufen. Er kritisiert die überbordende Bürokratie im Gesundheitssystem, die zulasten der Zeit für den einzelnen Patienten geht. Die geschilderten Beispiele zeigen, welcher emotionale und körperliche Einsatz vom Klinikpersonal gefordert wird. Einige Patientenschicksale berühren tief – sie erinnern an Kriegserfahrungen aus der Kindheit oder an bewegende Geschichten aus anderen Kulturen.

Fazit: Lesenswert, aber mit überraschenden Elementen

Der Titel Mein Bruder der Nichtraucher* sowie das schlichte Cover lassen kaum erkennen, dass es sich um ein Buch über den psychiatrischen Klinikalltag handelt. Auch die Aussage des Autors im letzten Satz – wonach der Verzehr von Obst vor den beschriebenen Erfahrungen schützen solle – bleibt wohl sein Geheimnis. Trotz kleiner Irritationen ist das Buch allen zu empfehlen, die sich für das Leben und die Herausforderungen auf einer psychiatrischen Station interessieren. Besonders gelungen ist die Auswahl der Sprichwörter am Ende jedes Kapitels, die zum Nachdenken anregen.

Mein Bruder der Nichtraucher von Thorwald Börner

Buchcover des Sachbuchs Mein Bruder der Nichtraucher
Independently published, 3. erweiterte Auflage 2011
Broschur
176 Seiten
ISBN 978-3-00-026207-4

Bildquelle: Thorwald Börner

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