Rezension: Genau mein Beutelschema – Berliner Großstadtroman mit Popkultur und Selbstironie

Buchcover des Romans Genau mein Beutelschema

Die Rütli-Schule als Brennpunkt und literarischer Ausgangspunkt

Die ehemalige Rütli-Oberschule, heute eine Berliner Gemeinschaftsschule, wurde im März 2006 überregional bekannt, als Lehrkräfte aufgrund zunehmender Gewalt ihre Schließung forderten. In diesem Milieu lebt der Protagonist von Sebastian Lehmanns Roman Genau mein Beutelschema*: ein 31-jähriger Berliner, der in der Kleinanzeigenabteilung eines Stadtmagazins arbeitet.

Er wohnt im Stadtteil Tiergarten, hat jahrelang scheinbar ziellos Philosophie studiert, spielte früher in einer Band namens „Stereotypen“ und trinkt am liebsten Club-Mate. Sein Freund Kurt, den er gerne mit Kurt Cobain vergleicht, steht kurz davor, Vater zu werden.

Zwischen Veganismus, Facebook und WG mit Dr. Alban

In einem Kellerclub in Berlin-Neukölln begegnet der Ich-Erzähler einer attraktiven, zehn Jahre jüngeren Frau, die sich als Christina Aguilera vorstellt – nachdem er selbst vorgibt, Marky Mark zu sein. Die junge Art-Managerin bei Universal hat beruflich bereits deutlich mehr erreicht als er und wohnt mit „Dr. Alban“, einem angeblichen Zahnmediziner, in einer Wohngemeinschaft.

Nach der ersten gemeinsamen Nacht fühlt sich Marky alt und bieder – zumal Christina sich vegan ernährt und über 2.000 Facebook-Freunde zählt. Auf einer Mottoparty mit dem Thema Zurück in die Zukunft, die er mit seinem Chef Gary besucht, begegnet er erneut Christina und Dr. Alban, der ihm überhaupt auffallend oft über den Weg läuft.

Auch sein Chef überrascht: Einst stets korrekt gekleidet, kifft Gary plötzlich und verschwindet aus dem Büro – was den Chefredakteur zu Umstrukturierungen veranlasst.

Ein Roman voll popkultureller Anspielungen

Wer die ersten Seiten von Genau mein Beutelschema* liest, sucht zunächst Orientierung. Schon das koffeinhaltige, alkoholfreie Erfrischungsgetränk Club-Mate ist außerhalb Berlins kaum bekannt – dort jedoch Kult.

Lehmanns Roman wimmelt vor popkulturellen Referenzen: Bands, Schauspieler, Musiktitel und vor allem Science-Fiction-Filme prägen den Ton. Leserinnen und Leser mit entsprechenden Kenntnissen sind klar im Vorteil.

In Markys Welt hat jedes Kind ADHS, jede Frau ist laktoseintolerant, und fast alle tragen dieselbe Ray-Ban-Brille. Er begegnet Sperrmüllmöbel-Bars, Bio-Fair-Trade-Eiscafés, einer „Bubble-Seuche“ und kritisiert ironisch eine Arbeitswelt, in der das „Recht auf Arbeit“ längst durch das Recht auf Ausbeutung ersetzt wurde.

Irritierend, surreal – aber auch charmant

Lehmann verzichtet bewusst darauf, seinen Figuren wie „Marky Mark“ oder „Christina Aguilera“ echte Namen zu geben. Die Handlung bleibt stellenweise surreal, der Stil fragmentiert – nicht jeder wird sofort Zugang zu dieser Welt finden.

Immer wieder tauchen Stoffbeutel mit kryptischen Botschaften auf. Wer sich jedoch auf diesen besonderen Ton einlässt – oder selbst Teil der Berliner Hipster-Subkultur war oder ist – wird mit pointierter Gesellschaftskritik und lakonischem Humor belohnt.

Fazit: Für Fans von Berlin, Popkultur und feiner Ironie

Genau mein Beutelschema* ist ein ironisches Porträt einer Generation zwischen Selbstsuche und Selbstinszenierung – klug, kurios und vor allem: sehr berlinisch. Wer durchhält, entdeckt mehr als nur Club-Mate, Facebook-WGs und Vintage-Möbel.

Genau mein Beutelschema von Sebastian Lehmann

Buchcover des Romans Genau mein Beutelschema
Aufbau Verlag 2013
Taschenbuch
240 Seiten
ISBN 978-3-7466-2940-7

Bildquelle: Aufbau Verlag

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