Die Ausgangslage: Ein riskantes Abenteuer mit fatalen Folgen
Nicht ohne Grund ist bei einer gynäkologischen Untersuchung durch einen männlichen Arzt in der Regel eine Sprechstundenhilfe anwesend – als Absicherung gegen mögliche Anschuldigungen. Ein Mann läuft prinzipiell immer Gefahr, einer Vergewaltigung oder zumindest einer unsittlichen Berührung bezichtigt zu werden. Genau das widerfährt Daniel Schönwind in dem Kriminalroman Engelsspiel* von Klaus Schuker.
Auf der Heimfahrt von einer betrieblichen Grillfeier nimmt Daniel eine junge, aufreizend gekleidete Anhalterin mit. Sie provoziert ein sexuelles Abenteuer, auf das er sich einlässt. Am nächsten Morgen, beim Frühstück mit seiner Lebensgefährtin Karin und der gemeinsamen achtjährigen Tochter Ramona, die ihm alles bedeutet, steht plötzlich Kriminalhauptkommissarin Beatrice Weber mit ihrem Kollegen Plattner vor der Tür – das böse Erwachen beginnt.
Die Lüge: Eine erfundene Vergewaltigung mit dramatischen Konsequenzen
Was Daniel zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß: Die erst 17-jährige Janina hat die Vergewaltigung vorgetäuscht, um einer Bestrafung durch ihren Vater zu entgehen, da sie zu spät nach Hause gekommen ist. Sie fügt Daniel tiefe Kratzspuren auf der Brust zu und lässt sich absichtlich von ihm schlagen, um die Verletzungen später gegen ihn verwenden zu können.
Als Daniel vor den Beamten seinen Oberkörper entblößen muss, wirken die Kratzer keineswegs wie Spuren einvernehmlichen Sex – so, wie Daniel es beschreibt. Alles spricht gegen ihn, sogar die Tatsache, dass er mit seiner Partnerin seit Monaten keinen Geschlechtsverkehr mehr hatte. Nur wegen Ramona, seinem „Engelchen“, hat Daniel – für den Seitensprünge zur Gewohnheit geworden sind – bislang nicht über eine Trennung nachgedacht.
Der Absturz: Isolation, Rachegedanken und neue Intrigen
In Untersuchungshaft bricht für Daniel eine Welt zusammen, als ihm seine Verteidigerin Cornelia Vollgast mitteilt, dass Karin sich von ihm trennen will. Allein zu Hause beginnt er zu trinken. Er hat nichts mehr zu verlieren, sinnt auf Rache und schmiedet einen Plan.
Auch Janinas beste Freundin Kim verfolgt eigene Absichten. Sie ist irritiert darüber, wie gut Janina die angebliche Vergewaltigung verarbeitet und wundert sich, dass Janina ihr nichts über ihren geheimnisvollen Lover verraten will. Kim ist nicht die Einzige, die Zweifel hegt.
Gesellschaftliche Dimensionen: Zweifel, Misstrauen und mediale Hetze
Neu ist die Thematik nicht: Schon im Thriller Enthüllung* wurde gezeigt, in welch aussichtsloser Lage sich Michael Douglas als Tom Sanders befand. Die Handlung in Engelsspiel* fesselt den Leser von Beginn an. Klaus Schuker zeichnet die Entwicklung der zerbrechenden Beziehung zwischen Daniel und Karin nachvollziehbar nach. Die Beweislast gegen Daniel lässt auch Karin an ihm zweifeln. Eine Verständigung zwischen den beiden ist nicht mehr möglich – sie fühlen sich von den Folgen erschlagen.
Auch im beruflichen Umfeld bleibt nichts verborgen. Das Internet heizt die Stimmung zusätzlich mit hasserfüllten Kommentaren an.
Perspektivwechsel: Vielschichtige Einblicke in ein sensibles Thema
Um die verschiedenen Seiten zu beleuchten, schildert der Autor abwechselnd Daniels verzweifelte Lage und die seiner Lebensgefährtin. Er beschreibt Gespräche zwischen Janina und ihren Eltern sowie deren Austausch mit Arend Küstner, einem Freund der Familie. Der Leser erfährt von geheimen Treffen zwischen Janina und ihrem Freund sowie von den Vernehmungen durch die Kriminalbeamten.
Ob man tatsächlich das Kennzeichen eines sich bei Nacht nähernden Fahrzeugs erkennen kann, wie Janina behauptet? Zumindest wäre nach einer Vergewaltigung die Frage einer möglichen Schwangerschaft zu klären. Janina hätte gefragt werden müssen, ob ein Kondom verwendet wurde – und falls nicht, wäre ihr zumindest die „Pille danach“ anzubieten gewesen.
Fazit: Ein Krimi mit Tiefgang und emotionaler Wucht
Engelsspiel* ist ein äußerst realitätsnaher, zu keinem Zeitpunkt theatralischer, flüssig geschriebener Kriminalroman. Klaus Schuker setzt sich gefühlvoll mit einem sehr sensiblen Thema auseinander und zeigt, wie schnell ein Leben durch eine falsche Anschuldigung aus den Fugen geraten kann.