Was du von mir wissen sollst von Sissel-Jo Gazan

Was du von mir wissen sollstIn den 1970/80er Jahren wollten wie an vielen anderen Orten auch junge Menschen in Dänemark die Welt verändern. Die Politiker interessierten sich nicht für die Probleme derer, die ohne Arbeit waren, weshalb sie kurzerhand leerstehende Häuser besetzten. Während sie gegen den Kapitalismus und Faschismus ankämpften, meinten die auf der anderen Seite der Gesellschaft stehenden Konservativen, die faulen Hausbesetzer wollten sich auf ihre Kosten ein feines Leben machen. In dieser Zeit verbringt auch die zwölfjährige Rosa, Protagonistin in dem Roman „Was du von mir wissen sollst“ die Sommerferien mit ihrer türkischen Freundin Sevim in Aarhus. Als Biologiestudentin gehörte ihre Mutter Helle einer Kommune an und wünscht sich als überzeugte Sozialistin den Frieden auf Erden. Über ihren leiblichen Vater weiß Rosa lediglich, dass drei infrage kommen, unter ihnen Rudi Dutschke. In dem homosexuellen Kalle Krudt, einem Professor an der Kunsthochschule, hat Rosa einen fürsorglichen Ersatzvater gefunden.

Als Krudt für einige Zeit nach London zieht, besucht Rosa ihn und bewundert dort die tags und pieces der Graffiti-Künstler. Seitdem führt sie ein piece book und schließt sich der Streetart-Kunstszene an. Mit vierzehn Jahren ist sie die Freundin von Jakob, der den Konservativen Gymnasiasten angehört. Fasziniert und beeindruckt ist sie von Tom, einem Arbeiter bei Fredes Autowerkstatt, für den sie allerdings nur ein „kleiner Hosenmatz“ ist. In der Folge wird Rosas Freundschaft mit Sevim auf eine harte Probe gestellt. Als Tom, dem die Teilnahme in einem linksradikalen Trainingslager vorgeworfen wird, ihre Unterstützung erbittet, gerät sie zwischen die Fronten, da sie von Jakobs Vater unter Druck gesetzt wird, der bei der Polizei arbeitet. Rosa erschafft weiterhin paste-ups, mit Kleister oder Leim auf Mauern aufgeklebte Bilder und Plakate, die sie nicht für Sachbeschädigung, sondern Kunst hält und wird für dieses Vergehen einem Haftrichter vorgeführt.

Sissel-Jo Gazan hat für ihren Roman „Was du von mir wissen sollst“ umfangreich recherchiert. So gibt es den häufig zitierten Banksy, Pseudonym eines berühmten und kritischen Streetart-Künstlers wie auch die Künstlerin Sarah Lucas tatsächlich. Als Biologin weiß die Autorin um den Nachweis der entzündungshemmenden Wirkungen medizinischer Pilze des Mykologen Paul Stamets, die er sich patentieren ließ. Durch den Plot ziehen sich reale Ereignisse wie der von Arthur Scargill angeführte Bergarbeiterstreik in England 1984, der Tausende zum Opfer gefallenen Chemiekatastrophe von Bhopal im Jahr 1984, oder auch die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986. Die millionenfach verbreiteten „Atomkraft? Nein danke“-Buttons mit dem symbolträchtigen Logo einer lachenden Sonne stammen von der zitierten Anne Lund, die wie Sissel-Jo Gazan aus Aarhus stammt.

Der seitenstarke Roman beginnt mit unbeschwerten Abenteuern zweier junger Mädchen und den Ereignissen der darauffolgenden Jahre. In einem interessanten Dialog zwischen Rosa und ihrem ersten Freund Jakob zeigt sich sein zunehmend politisch motivierter Hintergrund. Rosa erlebt noch eine Menge Überraschungen. So erfährt sie erst Jahre nach einer Reise, die sie mit ihrer Mutter und ihrer für den Dichter Pablo Neruda schwärmenden Großmutter nach Chile führt, den wahren Grund dafür. Ab der Buchmitte wird der Roman zunehmend spannend, und der Leser kann sich seinem Sog nur schwer entziehen. Im letzten Viertel vollzieht sich ein Sprung von den Achtzigern ins Jahr 2008 zur nunmehr siebenundzwanzigjährigen Rosa, die nach einer Reihe von Begebenheiten die Suche nach ihrem leiblichen Vater aufnimmt und dabei gleich mit mehreren Überraschungen konfrontiert wird, von der sie eine Enthüllung regelrecht umhaut. Ganz zum Schluss lüftet die Autorin auch das Geheimnis um die Person, die von der Protagonistin wiederholt mit DU angesprochen wird und der sie in der Ich-Form von ihrem Leben erzählt. Ein grandioses, meisterhaftes Werk!

Was du von mir wissen sollst von Sissel-Jo Gazan

Was du von mir wissen sollst
Übersetzung von Gabriele Haefs und Hannes Langendörfer
dtv 2019
Klappenbroschur
592 Seiten
ISBN 978-3-423-26222-4

Bildquelle: dtv
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