Der Tag, an dem mein Großvater ein Held war von Paulus Hochgatterer

Der Tag, an dem mein Großvater ein Held warIn den letzten Kriegstagen im März 1945 lebt Nelli bei ihrer Pflegefamilie Jakob und Barbara Leithner, die sie mit Großmutter und Großvater anredet. Vor genau einhundertsechsundvierzig Tagen, das weiß sie genau, kam sie in ein kleines Dorf in Niederösterreich zu der Bauernfamilie Leithner. Nachdem ihre Eltern und zwei Brüder bei einem Bombenangriff ums Leben kamen, wurde Cornelia Deinhardt als die einzige Überlebende völlig verstört aufgefunden. Tagelang blieb sie stumm. Da ihre Großeltern behaupten, ihr Name sei Nelli, glaubt sie das manchmal, ein anderes Mal aber auch wieder nicht.

Eines Tages taucht nach einem Fliegerangriff in dem Dorf ein junger Mann auf, der sich Michail Levjochin nennt. Er wäre Maler und käme ursprünglich aus dem Dorf Udranka bei Minsk, bevor er als Kriegsgefangener in Templin gearbeitet hätte. Im weiteren Handlungsverlauf stoßen noch drei Soldaten zu ihnen: Leutnant Bernd Gollwitz mit den Gefreiten Schwertfeger und Friedrich. Aus Sicherheitsgründen, so sagen sie, beschlagnahmen sie den Volksempfänger und verlangen am Karfreitag einen Braten, weshalb die Familie ein Schwein schlachten muss.

Um es vorwegzunehmen: Die Erzählung „Der Tag, an dem mein Großvater ein Held war“ ist keine leichte Kost. Paulus Hochgatterer verwendet teilweise „abgehackt“ anmutende Sätze, die nicht „rund“ scheinen und wechselt die Perspektiven, indem er einmal die dreizehnjährige Nelli in der Ich-Form erzählen lässt, ein anderes Mal werden eingeschobene Geschichten im Erzählstil wiedergegeben. In einer dieser Geschichten fährt Stefan Hürner mit seinem Sohn Rudi Traktor, wobei Rudi beinahe im Mühlbach ertrunken wäre und in einer weiteren ist der Fliegerpilot Benjamin Shaffer fast gehängt worden, nachdem er sich mit einem Fallschirm aus dem brennenden Flugzeug retten konnte. Schließlich hält der Leutnant den Russen Michail für einen russischen Kriegsgefangenen, der sich „dem Dienst am deutschen Volk durch feige Flucht entzogen habe“. Allen drei Geschichten ist gemein, dass sie zunächst einen schlechten Ausgang nehmen, dann aber doch noch nach dem Zusatz „So wäre es am ehesten gewesen“ gut enden.

Paulus Hochgatterer lässt mit dieser zweideutigen Aussage den Leser über den Ausgang der Geschichten im Ungewissen, was sich außerdem auch auf die Person seiner Protagonistin Nelli bezieht. Denn über sie ist zu erfahren, dass sie wohl erzählen könnte, wie man sie gefunden hat und wie über sie Erkundigungen eingeholt wurden. Oder dass ihre Beschreibung auf die als vermisst geltende Cornelia Deinhardt gepasst hätte, woraufhin sie zur Familie Leithner gebracht wurde. Doch, so meint sie, könnte sie das lediglich erzählen, was sie aber nicht tut. Stattdessen äußert sie: „Ich glaube, ich werde mich nie mehr erinnern. Ich glaube, in meinem Kopf ist alles weggebombt.“ Antonia, eine Tochter der Familie Leithner, folgert aufgrund der Verwirrung von Nelli bösartig, dass diese ganz einfach einen „Dachschaden“ hat.

Eine andere Meinung scheint Laurenz, ein Bruder von Josef Leithner, von Nelli zu haben. Er vertraut ihr Geheimnisse an: Den Ort, wo er sein Testament sowie eine Schrotflinte samt Patronen aufbewahrt und außerdem weiß er ihr von einem abgefangenen Brief mit der Todesnachricht seines gefallenen Neffen zu berichten, weil er seinem Bruder und der Schwägerin die schlimme Nachricht ersparen wollte. Welche Geschehnisse Wirklichkeit sind, was der kindlichen Fantasie von Nelli entsprungen ist, bleibt für den Leser der Erzählung „Der Tag, an dem mein Großvater ein Held war“ ein Rätsel.

Der Tag, an dem mein Großvater ein Held war von Paulus Hochgatterer

Der Tag, an dem mein Großvater ein Held war
dtv 2019
Taschenbuch
112 Seiten
ISBN 978-3-423-14704-0

Bildquelle: dtv
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