Das brandenburgische Dorf Unterleuten hat weder Geschäfte, noch einen Bahnhof und ist nicht einmal an das Kanalisationsnetz angeschlossen. Wie in früheren Zeiten werden Dienstleistungen mit einem Tauschgeschäft abgegolten. Der ehemalige Soziologieprofessor Gerhard Fließ und Ehefrau Jule sind zugezogen und freuen sich über ihren Nachwuchs. Er arbeitet als Umweltaktivist beim Vogelschutzbund und will mit allen Mitteln verhindern, dass Linda, die mit ihrem Lebensgefährten Frederik ebenfalls neu im Dorf ist, ihre Nebengebäude zu Stallungen für ihr Pferd umbaut, da das Land zum Vogelschutzreservat gehört. Daneben leidet das Ehepaar Fließ unter dem Gestank, den ihr Nachbar Bodo Schaller durch das Verbrennen alter Autoreifen erzeugt.
Während einer vom Bürgermeister Arne Seidel einberufenen Versammlung werden die Dorfbewohner in einem Vortrag über erneuerbare Energien von der geplanten Errichtung eines Windparks informiert. Gerhard Fließ ist gegen das Projekt und kommt sogar seiner Widersacherin Linda entgegen, wenn sie im Gegenzug auf den Verkauf eines dafür benötigten Flurstücks verzichtet. Denn sowohl Gombrowski, der zu DDR-Zeiten die Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft LPG leitete und seit der Wiedervereinigung Geschäftsführer eines Landwirtschaftsbetriebs ist, noch sein Erzfeind Kron, besitzen in Unterleuten ein zusammenhängendes Stück Land von der Größe, das für die Errichtung der Windräder erforderlich ist. Kron, der schon bei einer Versteigerung ein weiteres Flurstück erwerben wollte, musste hinnehmen, dass ihn der Unternehmensberater Konrad Meiler überboten hat. Während die Unzufriedenheit und das Misstrauen unter den Bewohnern wächst, führt das Verschwinden eines Mädchens zur Eskalation einer fast zwanzig Jahre andauernden Fehde zwischen Kron und Gombrowski.
Juli Zeh widmet in ihrem Roman „Unterleuten“ den Handlungspersonen wechselweise ein Kapitel, wobei sie jeder Figur einen klar umrissenen Charakter zuordnet. Als „Pferdeflüsterin“ achtet Linda beispielsweise auf die Körpersprache ihres Gegenüber, Jule ist permanent auf der Suche nach sich selbst, und Gombrowski zeigt nach außen Stärke. Indem die Autorin das Leben der Protagonisten auf eindrucksvolle Weise in Rückblicken aufrollt, erfährt der Leser erst nach und nach von zurückliegenden Schicksalsschlägen und stellt fest, dass das Bild des ersten Eindrucks täuscht. Gut wird gegen Böse und umgekehrt getauscht, was deutlich macht, dass Juli Zeh eine feine Beobachtungsgabe menschlichen Verhaltens besitzt.
Der Roman thematisiert das Leben in der ehemaligen DDR, erinnert an die schreckliche Love Parade Katastrophe in Duisburg und enthält massenhaft hintergründige Kritik wie auch direkt formulierte, was beispielsweise die Ökobilanz der Windräder anbelangt. Die Autorin vermag mit wenigen Worten viel auszudrücken und macht deutlich, wie eine einmal außer Kontrolle geratene Lawine, in diesem Fall ein Geflecht aus Egoismus, Manipulation, Verrat, Sturheit, Schweigen, Missachtung oder zu später Einsicht, ein ganzes Dorf ins Unglück stürzen kann. Denn „Die Wahrheit war nicht, was sich wirklich ereignet hatte, sondern was die Leute einander erzählten“, lautet eine Aussage in dem seitenstarken Roman „Unterleuten“. Juli Zeh hat damit einen Ausnahmeroman in positivem Sinn erschaffen, der ein Spiegel unserer Gesellschaft ist: In jeder Hinsicht ein literarisches Meisterwerk!