Reise nach Orkney von Amy Sackville

Reise nach OrkneyWer mag schon ausgerechnet in den Flitterwochen eine „Reise nach Orkney“, einem aus siebzig kleinen Inseln bestehender, etwas nördlich von Schottland im Atlantik gelegener Archipel, unternehmen? Doch genau dorthin zieht es den sechzigjährigen Prof. Richard Stevens auf Wunsch seiner vierzig Jahre jüngeren frisch vermählten Frau, die alle für seine Tochter halten. Während er eigentlich weiter an einem Buch über volkstümliche Märchen schreiben wollte, verbringt er die Tage damit, seine Frau zu beobachten, die draußen aufs Meer blickt. Sie träumt nachts immer wieder davon, dass die Flut kommt, dass das Wasser sie holt und sie ertrinken könnte.

So viel zum Inhalt des Romans von Amy Sackville, den der Literaturprofessor in der Ich-Form erzählt, wobei er sich in Rückblicken daran erinnert, wie seine junge Frau sein Seminar besucht hat und errötete, sobald sich ihre Blicke trafen. Er kann sein Glück kaum fassen, dass sich seine beste Studentin in ihn verliebt haben will und ihn geheiratet hat. Da stört es ihn wenig, dass sie nicht kochen kann und sogar den Toast verbrennen lässt, das Kaffeepulver versengt und den Tee „ruiniert“.

Von der jungen Ehefrau des Professors kennt der Leser nicht einmal den Namen. Ihrem Mann Richard verrät sie kaum etwas von sich. Lediglich, dass sie von den Orkneys stammt und ihren Vater schon früh verloren hat, der einfach verschwunden wäre, was zu allerhand Spekulationen Anlass gibt. Ungewöhnlich ist auch, dass sie den Ehering nicht am Finger, sondern ihre beiden Ringe zusammen versteckt an einer Kette trägt. Wenn sie jemand ansieht, kann Richard das kaum ertragen. Wenn er könnte, würde er sie am liebsten einsperren, um sie so nicht den bohrenden Blicken anderer Männer auszusetzen. Ihn quälen die Gedanken an ihren Vater, der seine vor wenigen Tagen geehelichte Frau schon vor ihm in den Armen halten durfte und dass eines Tages ein anderer Mann ihr Doktorvater sein wird. Seine Gedanken sind gefangen von seiner krankhaften Eifersucht, und an keiner Stelle ist ersichtlich, was das nicht nur vom Alter her ungleiche Paar überhaupt verbindet.

In dem Roman „Reise nach Orkney“ von Amy Sackville überwiegt ein Erzählstil mit äußerst poetischen Umschreibungen. Wenn der Professor seine Frau nicht beobachtet, sitzen sie am Kaminfeuer, wo er ihre Knie mit seinen Fingerspitzen und Küssen „inspiziert“. Er ist „betrunken vom Schimmer ihrer Haut“, liebt ihre Füße und küsst die Zehen. Mal spricht er von seiner Frau, ein anderes Mal von seinem Mädchen oder seiner Nimue, eine Gestalt aus der Sagenwelt. So finden sich eine Vielzahl weiterer Sagengestalten in dem handlungsarmen Plot, wie beispielsweise die der mythischen Melusine oder Gestalten aus den mittelalterlichen Artusromanen, wobei sich einem unkundigen Leser der Zusammenhang nicht erschließt. Eine Leseempfehlung ausschließlich für Liebhaber der Poesie, für Träumer und alle, die sich der schottischen Abgeschiedenheit verbunden fühlen und gerne von der Sagenwelt bezaubern lassen.

Reise nach Orkney von Amy Sackville

Reise nach Orkney
Übersetzung von Eva Bonné
btb Verlag 2018
Taschenbuch
256 Seiten
ISBN 978-3-442-71599-2

Bildquelle: btb Verlag
PGltZyBsb2FkaW5nPSJlYWdlciIgc3JjPSJodHRwczovL3ZnMDQubWV0LnZnd29ydC5kZS9uYS8wNDI4NTI2N2JlYzU0YjNiYmYyZmZlNmE1YzBiZDEzNCIgd2lkdGg9IjEiIGhlaWdodD0iMSIgYWx0PSIiPg==

Teile diesen Beitrag