Treue Seelen von Till Raether

Treue SeelenAchim Tschuly hat als Pyrotechniker eine neue Tätigkeit bei der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung aufgenommen, weshalb er mit seiner Lebensgefährtin Barbara nach Berlin Zehlendorf, im Westteil der Stadt gelegen, gezogen ist. Unlängst hat sich in Tschernobyl die Reaktorkatastrophe ereignet, und um die durch den Regen kontaminierten Kleidungsstücke nicht in die Wohnungen zu tragen, werden sie häufiger gewaschen. Beim Aufhängen der Wäschestücke lernt Achim auf dem Dachboden die mit Volker verheiratete Marion Sebulke kennen. Aus der zufälligen Bekanntschaft entwickelt sich ein Verhältnis, und als Achim etwas Verbotenes zu deren Schwester Sybille über die Grenze nach Ost-Berlin bringen will, ist er sich über die Folgen nicht bewusst.

Die Handlung seines Romans „Treue Seelen“ hat Till Raether im Jahr 1986 angesiedelt, als sich im Kernkraftwerk eine Nuklearkatastrophe ereignete. Ort der Handlung ist Berlin, wobei sich die Protagonisten sowohl im West-, wie auch im Ostteil bewegen. Durch die Darstellung ihrer Lebensumstände war es dem Autor auch möglich, auf die Desinformationen der Bevölkerung bezüglich der verharmlosten Gefahren seitens der DDR-Führung hinzuweisen. Im Gegensatz dazu haben die westlichen Medien zeitnah über die unmittelbaren Gefahren der Strahlung und Spätfolgen aufgeklärt.

Der nicht chronologisch aufgebaute Plot ist mit Rückblicken der Handlungspersonen durchzogen. So denkt Volker an die erste Zeit mit Marion zurück. Obwohl sie bald die Leitung einer Filiale übernehmen wird, empfindet sie ihr Leben an seiner Seite wie ein Gefängnis, denn „wann kam man je irgendwo raus“. Mit fünfzehn Jahren hat sie ihre Mutter und Schwester Sybille kurz vor dem Mauerbau im Osten zurückgelassen, und sie erinnert sich an das Notaufnahmelager Marienfelde im Jahr 1961. Längst ahnt ihr Mann, dass sie ein Verhältnis mit seinem Nachbarn Achim unterhält. Für diesen läuft es beruflich zwar gut, denn ihm winkt in seiner neuen Position eine Verbeamtung. Doch privat ist die Beziehung mit Barbara am Ende, und während der im Labor geführten Gespräche mit Dr. Sonnenburg ist er unkonzentriert, da seine Gedanken zu Marion driften. Für ihn stellt sich die Frage, ob es nur für einen Seitensprung reicht oder ob sich aus den Treffen eine Affäre entwickelt.

Till Raether, der selbst in Berlin aufgewachsen ist, schreibt in seinem Roman „Treue Seelen“ von den Vorschriften und Regeln, die seinerzeit bei der Einreise nach Ost-Berlin gegolten haben. Als stilistisches Mittel hat er teilweise Sätze wie Gedankenfragmente nicht zu Ende ausgeführt oder an anderer Stelle einen Satz mit mehreren Anläufen begonnen. Immer wieder erinnert er an alte Filme oder Fernsehshows sowie an zur damaligen Zeit in Mode gekommene Dinge wie Tropfkerzen. Man kann den Roman nicht treffender wie auf dem Buchcover als atmosphärisch dicht bezeichnen, womit ihn einige Leser in die Schublade der Langatmigkeit packen könnten. Dass beispielsweise die neunjährigen Zwillinge Nele und Henk von Marion und Volker Sebulke lediglich am Rande erwähnt werden, jedoch nicht direkt in Erscheinung treten, verstärkt diesen Eindruck noch. Der ungewöhnlichen Atmosphäre dieses Plots fehlt die „Lebendigkeit“, und es fällt dem Leser schwer, sich mit einer der unnahbaren Figuren zu identifizieren. Dramatik erfährt die Handlung erst auf den letzten Seiten, als Achim einen Gegenstand über die Grenze nach Ost-Berlin schmuggelt.

Treue Seelen von Till Raether

Treue Seelen
btb Verlag 2021
Hardcover mit Schutzumschlag
352 Seiten
ISBN 978-3-442-75855-5

Bildquelle: btb Verlag
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