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Tage in Weiß von Rainer Jund

Tage in WeißRainer Jund schreibt in seinem Buch Tage in Weiß* über den Klinikalltag. Er ist selbst HNO-Arzt und für ihn stand als Medizin-Student in München zunächst die Anatomie auf dem Lehrplan. Er macht die Erfahrung, dass Neurochirurgen Entscheidungen treffen und abwägen müssen, ob beispielsweise eine riskante Operation dem Risiko eines Aneurysmas vorzuziehen ist. Er stellt eine Reihe von Fallbeispielen vor, wie sie typischerweise vorkommen können: Während des Nachtdienstes wird eine Tracheotomie nötig, weil eine Intubation des Patienten nach einem missglückten Suizid nicht möglich ist. Bei einer OP-Assistenz beobachtet er, wie dem operierenden Professor kaum eine Wahl bleibt, auch wenn mit der Entscheidung keiner zufrieden sein kann. Eines Nachts muss der Autor einem Patienten die Nase annähen, doch wegen dessen erhöhtem Blutalkoholwert muss das ohne Vollnarkose geschehen. Nach getaner Arbeit will er sich hinlegen, wird aber sofort zum nächsten Notfall gerufen.

In einem weiteren Fall liegt ein Junge mit postoperativen Blutungen nach einer Tonsillektomie auf dem OP-Tisch. Fast wäre es zu einer Verletzung der Halsschlagader gekommen, nachdem sich ein Abszess hinter einer Rachenmandel gebildet hat und eine Nekrose entfernt werden musste. Nur um Haaresbreite konnte das Kind gerettet werden. Dieses Mal ist es noch einmal gut gegangen! Nach einem Autounfall wird eine Prinzessin mit schweren Verbrennungen im Gesicht eingeliefert, ein anderer Fall erzählt die Geschichte eines Surfers, in dessen Nase sich ein Fischbandwurm eingenistet hat. Und ein vom Baum gefallener Junge ist dem Tod so nah: Nur „ein millimeterdickes Blutgefäß“ in seiner Nase entscheidet darüber, ob er weiterleben darf.

Es liegt auf der Hand, dass Ärzte in solchen Situationen, in denen Sekunden über Leben und Tod entscheiden, Ängste ausstehen. Oftmals stehen sie auch völlig beratungsresistenten Patienten gegenüber oder solchen, die sie kaum zu Wort kommen lassen und vom Arzt die Quadratur des Kreises fordern, wenn sie einerseits nichts verschrieben haben wollen, andererseits aber die Wegnahme ihrer Schmerzen fordern. Oder wenn wie im Fall einer Mutter diese von vornherein die Therapie ihrer an einer Allergie leidenden Tochter festgelegt hat. Auf der anderen Seite ist ein Arzt mit seinem Latein am Ende, wenn ein Paar, dessen einer Partner unheilbar erkrankt ist, auf eine Therapie verzichtet und die verbleibende Zeit in vertrauter Umgebung und in Würde verbringen möchte. Da bleibt nur ein freundliches „Auf Wiedersehen!“

Rainer Jund verschweigt nicht, dass es auch empathielose Ärztekollegen gibt und dass der Klinikalltag durchaus auch Unappetitliches für seinen Berufsstand bereithält. Ein Arzt muss immer wieder Rückschläge verkraften können und Bilder vom Tagesgeschehen verfolgen ihn bis in seine Träume. Dass ein Arzt auch nur ein Mensch ist, der nicht immun gegen Müdigkeit ist, dem es auch mal nicht so gut geht oder der von privaten Sorgen gequält wird, Sorgen die eigene Familie betreffend, sieht ein Patient selten, da er gedanklich nur mit sich selbst und seinen Beschwerden beschäftigt ist. Aber auch Mediziner haben wie alle anderen Arbeitnehmer organisatorische Probleme zu lösen und müssen die Dienste zu Weihnachten und den Jahreswechsel verteilen. Oder sie entspannen sich auf einem Betriebsausflug und sind auch empfänglich für menschliche Gefühle, wenn die Ärzteumkleide nicht nach Geschlechtern getrennt ist.

In amüsantem Ton, der zuweilen auch makabre Züge annimmt, plaudert Rainer Jund aus dem Nähkästchen, wobei er offen lässt, ob es sich um fiktive oder reale Geschichten handelt. Sein Buch Tage in Weiß*, das er seinen Ärztekollegen gewidmet hat, die bis zur Selbstvergessenheit arbeiten, ist allen medizinisch Interessierten und all denen zu empfehlen, die ein Medizinstudium in Erwägung ziehen. Kenntnisse der medizinischen Nomenklatur sind für das Verständnis der Lektüre nicht unbedingt erforderlich, aber von Vorteil. Die spannend vorgestellten Fallbeispiele werden mit philosophischen Gedanken des Autors abgerundet: Von einem Menschenleben bleiben immerhin unsterbliche Moleküle übrig, die in einen Kreislauf übergehen, in dem keine Materie verschwindet. Zu guter Letzt ein erfreulicher Blick in die Zukunft mit der Geburt seines ersten Kindes, dessen norwegische Mutter Rainer Jund bereits als Studentin in der Anatomie auffiel.

Tage in Weiß von Rainer Jund

Tage in Weiß
Piper Verlag 2019
Hardcover
240 Seiten
ISBN 978-3-492-05878-0

Bildquelle: Piper Verlag
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