Kornblumenzeit von Simona Wernicke

Eine ostpreußische Familiengeschichte!

KornblumenzeitNach Erinnerungen ihres Vaters hat Simona Wernicke den Roman „Kornblumenzeit“ geschrieben, eine ostpreußische Familiengeschichte nach wahren Begebenheiten: Käthe führt im Jahr 1928 mit ihren Geschwistern und den Eltern Hugo und Anna Weiß, Besitzer des Dorfkrugs in Koschainen, ein glückliches Leben. Als sie zum Pfingstfest Carl Kühnapfel nach fünf Jahren wiedersieht, ist es für beide Liebe auf den ersten Blick. Da er die Bäckerei seines Vaters in Locken übernehmen, aber erst noch die Meisterschule in Berlin abschließen will, sehen sie sich in der Verlobungszeit selten. Endlich läuten die Hochzeitsglocken und das junge Paar freut sich auf den ersten Sohn Heinz. Die Nationalsozialisten sind im Aufwind und Käthe sorgt sich um ihre jüdische Freundin Esther, deren Mann gerne auswandern möchte, was sie jedoch ablehnt. Nach der Geburt von Doris folgt im Januar 1935 mit Rudolf das dritte Kind. Der jungen Familie, die Land und Vieh besitzt, geht es gut, sie können sich sogar ein Auto leisten. Im Jahr 1936 wird Werner geboren, gefolgt von Martin.

Als am 1. September 1939 in Polen erste Schüsse fallen, erinnern sich die alten Frauen daran, wie sie 1914 vor den Russen fliehen mussten. Inmitten des tobenden 2. Weltkriegs schenkt Käthe, selbst an der Schilddrüse erkrankt, Ulrich das Leben. Die Freude darüber wird allerdings getrübt, weil private Fahrten mit dem Auto verboten werden, da der Treibstoff für den Krieg gebraucht wird. Doch es kommt noch schlimmer: Das Auto, auf das Carl so stolz ist, wird konfisziert. Er glaubt, dass das der schwärzeste Tag in seinem Leben ist, nichtsahnend, dass die Russen heranrücken und sie bald ihr Zuhause in Masuren verlassen müssen, denn bisher ist Ostpreußen von Bombardierungen verschont geblieben.

Der Roman „Kornblumenzeit“ ist ein erschütterndes Zeitzeugnis, das Simona Wernicke anschaulich und realistisch erzählt. Viele junge Menschen wissen heute vielleicht gar nicht, dass eine vorzeitige Flucht der Menschen, die sich vor den heranrückenden Russen fürchteten, unter Strafe gestellt wurde. Die Menschen in Ostpreußen mussten auf den Befehl zur Räumung warten, der viel zu spät kam, so dass ihnen nur noch der gefahrvolle Weg übers Haff blieb. Käthe, Carl und auch den Kindern machten die klirrende Kälte von minus 21° zu schaffen, die Schreie der Tiere setzte ihnen zu, sie sahen erfrorene Menschen und komplette Fuhrwerke samt der Insassen und Pferde, die sich dem endlosen Treck anschlossen, in der eiskalten Ostsee verschwinden, wenn Tiefflieger die Flüchtenden angriffen.

Simona Wernicke schreibt von ostpreußischem Brauchtum wie dem Schimmelreiter und vom sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu genießenden Meschkinnes, einem Likör aus Honig, der mehr unter dem Namen Bärenfang bekannt ist. Sie erinnert an die britischen Luftangriffe auf Königsberg im August 1944, die fünftausend Todesopfer forderten und vier Mal so viele Obdachlose. Auf der anderen Seite hat sich die Autorin auch genügend Zeit für die Darstellung der ersten glücklichen Jahre gelassen, in denen der junge Carl in Berlin die Meisterschule besucht hat und das Paar auf den Familienzuwachs stolz war. Käthe hörte seinen Erzählungen interessiert zu und hätte auch gerne gesehen, wie „elektrische Straßenbahnen auf Schienen fahren mitten durch die Stadt“. Begeistert war Käthe, als sie das Badezimmer ihrer Schwägerin mit Wasserklosett und fest installierter Badewanne sah, wo eher das Plumpsklo im Stall die Normalität war. Im Epilog ihres sehr beachtenswerten und bedeutenden Romans gibt Simona Wernicke noch Auskunft über die fortgesetzten Lebensläufe ihrer Handlungspersonen. Eine unbedingte Leseempfehlung!

Kornblumenzeit von Simona Wernicke

Kornblumenzeit
Gmeiner Verlag 2023
Klappenbroschur
537 Seiten
ISBN 978-3-8392-0488-7

Bildquelle: Gmeiner Verlag

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