Die Neuauflage aus dem Jahre 2017 des bereits 1931 erschienenen Debütromans „Käsebier erobert den Kurfürstendamm“ von Gabriele Tergit ist mit gutem Grund in der alten Rechtschreibung gehalten, wie Nicole Henneberg in einigen Hintergrundinformationen und biografischen Angaben zur Autorin am Schluss erklärt. Der Plot ist im Jahr 1929 angesiedelt, sechs Jahre nach der Währungsreform im November 1923. Wohnraum wurde immer knapper, durch Rationalisierungen stiegen die Arbeitslosenzahlen und mit ihnen begann der Aufstieg der Nationalsozialisten. Davon schreibt Gabriele Tergit, die selbst Redakteurin war, und beginnt ihren Roman mit einer Unterhaltung in den Räumen der Berliner Rundschau.
Der Metteur (Schriftsetzer) Miehlke treibt täglich die Redakteure Miermann und Gohlisch an, nachmittags um halb fünf ihre fertigen Texte abzuliefern. Als Gohlisch eines Tages nichts einfällt, schreibt er einen wohlwollenden Artikel über den Volkssänger Georg Käsebier. Unterdessen bittet Verleger Dr. Klaus Waldschmidt den Dichter Otto Lambeck, für ihn zu schreiben. Durch Zufall begegnet dieser Willi Frächter, der ihm von dem Artikel über Käsebier erzählt. Kurz entschlossen besucht Lambeck mit Fräulein Dr. Lotte Kohler ein Konzert des Volkssängers im Volkspark Hasenheide und schreibt darüber einen Artikel für die Berliner Tageszeitung, wobei er gerne auf die Zeilen seines Kollegen Gohlisch zurückgreift und Käsebier als eine Entdeckung lobt.
Plötzlich reißen sich die Medien um Käsebier: Seine Vorstellungen sind ausverkauft, Lambeck soll ihn für das Radio interviewen und Frächter will ein Buch über ihn schreiben. Zur Premiere im Varieté-Theater Wintergarten kommen alle, die Rang und Namen haben, und sogar die Theaterkritiker werden eingeladen. Eine bis dahin nicht gekannte Vermarktungswelle setzt ein und die Leute reißen sich um eine Gummi-Puppe oder Schuhe mit dem Logo von Käsebier.
Längst sind Spekulanten auf den Plan gerufen, die Käsebier als Pächter für einen neu zu errichtenden Kurfürstendammkomplex mit Theater und Luxuswohnungen vorgesehen haben. Bankier Muschler, Architekt Karlweiß und Bauunternehmer Otto Mitte werden sich einig, obwohl Oberndorffer als abgelehnter Architekt skeptisch bleibt. Doch was niemand ahnte, wird bittere Realität: Ende 1929 setzt ein Umschwung des Wohnungsmarktes ein. Wohnungen sind kein Kapital mehr. Als die Filmpremiere von Käsebier floppt und er nicht mehr gefragt ist, ist er nicht der einzige Verlierer.
Der Roman „Käsebier erobert den Kurfürstendamm“ ist äußerst dialogreich. Die Redakteure sprechen über Politik oder über das, was die Leute in den Tageszeitungen lesen wollen, während die Herren aus besserem Hause in Otterkragen gekleidet von ihren im Besitz befindlichen Gemälden reden und für ihre Frauen nur noch ihre äußere Erscheinung zählt, allen voran ihre Garderobe. Der Gattin des Bankiers Muschler ist die Reise nach Cannes wichtig, obwohl ihr Mann längst fremde Gelder beleihen musste. Redakteur Miermann wird als treuer Mitarbeiter von einem Widersacher seines Postens enthoben, und sein Kollege Gohlisch fühlt sich als „Sklave auf einer Galeere“. Käte Herzfeld, auf die Miermann ein Auge geworfen hat und der Verleger Dr. Waldschmidt den Hof macht, verarmt nach ihrer Scheidung, doch nimmt sie das selbstbewusst in Kauf. Dr. Lotte Kohler, deren Mutter Frau Geheimrätin sie lieber heute als morgen verheiratet sähe, verliert nicht nur Mayer-Paris, dem sie hinterherläuft, sondern auch noch das Millionenerbe ihres Vaters.
Natürlich sind Parallelen des Romans von Gabriele Tergit zu den aktuellen Tageszeitungen, die auch wieder ums Überleben kämpfen müssen, nicht zu übersehen. Ebenso werden auch in heutiger Zeit Bauherren aus den verschiedensten Gründen ins Verderben gestürzt, und erst recht gibt es im Showgeschäft genügend „Sterne am Himmel“, die nur für kurze Zeit aufleuchten, um dann in der Versenkung zu verschwinden. Trotzdem scheint das Buch überbewertet zu werden, wie der Volkssänger Käsebier in der Geschichte. Es beinhaltet zu viele nebensächliche Unterhaltungen und oftmals krasse Szenenwechsel, um einen Leser von heute noch überzeugen oder gar fesseln zu können.
Käsebier erobert den Kurfürstendamm von Gabriele Tergit
btb Verlag 2017
Taschenbuch
400 Seiten
ISBN 978-3-442-71556-5