Alexander und Béatrice Thal waren von 1969 bis 2001 für die Fluglinie Swissair tätig, was die Autorin in ihrem autobiografischen Roman Hoitage* verarbeitet hat. So erinnert sich ihre dreiundzwanzigjährige Protagonistin Marlis an ihren vor über dreißig Jahren gestarteten ersten Flug als fliegende Krankenschwester, als „Flying Nurse“. Zu ihren Aufgaben zählten das Wickeln und Füttern von Babys, in einem Fall waren es zwei Gorilla-Babys. Einmal musste ein nach einem Autounfall verletzter Mann versorgt werden, wobei zu allem Überfluss noch ein zweites Triebwerk auszufallen drohte, und bei einem anderen Flug sollten vier aus einem indischen Waisenhaus stammende Babys in Europa neuen Eltern zugeführt werden. Doch für die offensichtlich Unterernährten gab es keine Babymilch an Bord, und beim Baden im Handwaschbecken des Flugzeugs zeigten sich „offene Hautstellen am Gesäß“, was die mittlerweile routinierte Flying Nurse zum sofortigen Handeln zwang.
Marlis Erinnerungen gehen zur ersten Bekanntschaft mit den Flugschülern Erich, Fritz und Gregor. Während Erich beim Tanz aufdringlich wird, macht ihr Gregor mit großen Blumensträußen den Hof. Sie ziehen in ein Zimmer plus Küche und Bad unters Dach im vierten Stock und Gregor fragt sich, wie er die von der Airline geforderten eintausend Flugstunden zusammenbekommen soll. Trotz des tödlichen Absturzes von Erich verloben sich Gregor und Marlis kurz darauf, und beiden stellen ihren Eltern den neuen Partner vor. Während einer zweiwöchigen Trennung hält plötzlich ein Taxi vor dem Haus: Marlis verbleiben nur wenige Minuten, um sich für einen außerplanmäßigen Flug nach Canada fertig zu machen. Mit nur elf Dollar in der Tasche!, denn für einen Gang zur Bank bleibt keine Zeit, erreicht sie den Flieger mit bereits laufendem Triebwerk.
Mit dem tödlichen Absturz von Fritz hat Gregor einen weiteren Freund verloren. Aber sein Leben ging weiter und er konnte mit einundzwanzig Jahren endlich seine Ausbildung bei der Airline fortsetzen. Er wurde Copilot und das Paar heiratete. Nach drei gleichzeitig entführten Flugzeugen eines palästinensischen Terrorkommandos wurden erste Sicherheitskontrollen der Passagiere eingeführt und im Flugzeug saß stets ein bewaffneter Beamter in Zivil. Gregor wurde auf die zweistrahlige DC-9 umgeschult, während das Paar Momente euphorischen Glücks kannte, aber immer wieder auch Tiefschläge einstecken musste. Sie hatten kaum Zeit füreinander, wenn der eine heimkam, ging der andere gerade wieder.
Leider gab es über die Jahre auch brenzlige Situationen, um die Marlis Gedanken kreisen: Ob es ein Notsinkflug ihres Mannes über den Alpen war oder während einer Umschulung auf den Jumbo 747 von Boeing in der Wüste von Arizona das Ziel ohne Navigator erreicht werden musste. Auf einem ihrer Flüge war ihr ein fast vierjähriger Jungen anvertraut, dessen Eltern bei einem Verkehrsunfall ums Leben kamen und der deshalb zu seiner Tante nach Budapest geflogen werden sollte. Dieses Erlebnis war der Auslöser für den Wunsch nach einem eigenen Kind. Geplant war, dass Gregor bei der Geburt dabei ist. Doch das Kind ließ auf sich warten und war schon sechs Tage überfällig. Unglücklicherweise saß ihr Ehemann im Schneesturm von New York fest… Sorgen und Ängste begleiteten das Leben von Marlis und Gregor, deren erster Sohn sich noch über einen Bruder freuen durfte. Ihr Vater konnte eine Ausbildung zum Flugkapitän abschließen und musste eines Tages damit zurechtkommen, dass sich die linksseitigen Räder nicht ausfahren ließen. Da die Zeit für einen Schaumteppich nicht reichte, musste in Mailand alles für eine Evakuierung vorbereitet werden.
Nach der Familienphase hat Marlis den Flugbegleitern, wie sich die Hostessen und Stewards mittlerweile nannten, medizinische Kenntnisse vermittelt. Kritisch äußert sie sich zur Reorganisation, bei der Unternehmensberater drastische Sparmaßnahmen durchsetzten. Sie wurde Korrespondentin einer Zeitung, ihr Ehemann Fluglehrer, der noch auf den computergesteuerten Airbus A320 eingeführt wurde, bevor er mit dreiundfünfzig Jahren in Frühpension ging. Immer mehr Billigflieger überschwemmten den Markt, und schließlich ging ihre Airline pleite. Das Unfassbare wurde mit wertlosen Flugtickets und der Hausbank, die kein Geld mehr auszahlte, Wirklichkeit.
In angenehmem und flüssigem Schreibstil erzählt Béatrice Thal von ihrer achtjährigen Tätigkeit als „Flying Nurse“ und den zweiunddreißig Jahren ihres Ehemannes Alexander als Pilot. Sie schreibt von dem Vogel Hoi, der gelegentlich in ihre Wohnung flog und immer kam, wenn sie ihn am wenigsten erwartet hat. Besonders zu Anfang zieht sich der Plot für den Leser in die Länge, da er noch nicht ahnt, dass der Weg das Ziel ist. Denn ihren autobiografisch geprägten Roman Hoitage* empfindet die Autorin „als notwendig und heilend“, was sich dem Leser erst im weiteren Handlungsverlauf zeigt, der zunehmend von Katastrophen geprägt ist. Dieser fiebert regelrecht mit Gregor, als er wegen starker Rauchentwicklung im Cockpit den Entschluss zur sofortigen Umkehr nach München fasst. Vom Controller als Emergency eingestuft, was vor Ort die höchste Sicherheitsstufe bedeutet, hat Gregor die sofortige Evakuierung der Passagiere auf der Piste angeordnet. Umso mehr traf es ihn, dass es später einem guten Kollegen nicht glückte und so über zweihundert Menschenleben den Tod fanden.
Hoitage von Béatrice Thal
Neptun Verlag 2025
Hardcover mit Schutzumschlag
320 Seiten
ISBN 978-3-85820-373-1