Heumahd von Susanne Betz

HeumahdDass ihr Ehemann im Jahr 1886 nach einem Besuch des Wirtshauses erfroren ist, bekümmert Vroni Grasegger nicht im Geringsten, denn die Dreiundzwanzigjährige wurde während der Ehe immer wieder von ihm misshandelt. Narben auf ihrem Nacken zeugen davon und noch auf der Beerdigung des Bauern schmerzt sie eine durch ein Holzscheit verursachte, sich nicht schließende Wunde an der Hüfte. Vroni, die als Kind nur den Hunger kannte, hat deshalb in den Grasegger Hof in Loisbichl eingeheiratet, wo sie nun mit dem Knecht Korbinian, der Magd Josefa, einem Onkel ihres verstorbenen Mannes sowie Rosl, seiner Tochter aus erster Ehe, wohnt.

Eines Tages kommt ein Fremder in das Werdenfelser Land, bei dem es sich um den berühmten Kunstmaler Wilhelm Leibl aus München handelt. Er will unbedingt Blasi Hirzinger malen, vor dem sich Vroni in acht nehmen muss, weil er ihr schon früher nachgestellt und Mägde in der Umgebung geschwängert hat. Doch für die Witwe geht es nun bei der kräftezehrenden „Heumahd“, bei der ihr nur der Knecht und die Magd zur Seite stehen, um alles. Nachdem langanhaltender Regen die gesamte Ernte vernichtet hat, ist Vroni verzweifelt, da sie sich keinen Zukauf von Heu für den nächsten Winter leisten kann.

Unterdessen verhilft ihr der Maler Wilhelm Leibl zu einer ganz neuen Sicht auf die Schönheiten der Landschaft, und sein Freund Reginald verändert ihre Sichtweise auf die kleine Rosl, die als Idiotenkind von den Dorfbewohnern gemieden und als „Idiotenbankert“ beschimpft wird. Reginald weiß als Mediziner, wie mongoloiden Kindern geholfen werden kann, wofür ihm Vroni sehr dankbar ist. Für sie könnte das Leben nach dem unerwarteten Tod ihres Mannes endlich sorgenfrei sein, wenn sie nur nicht von allen Seiten zur Wiederheirat bedrängt würde: Während der Pfarrer es noch gut mit ihr meint, will sie der Viehhändler verkuppeln, männliche Dörfler drohen ihr und die stattliche Huberin sähe sie gerne als Schwiegertochter für ihren Anton.

Der Roman „Heumahd“ von Susanne Betz ist in der Zeit des aufstrebenden Alpinismus angesiedelt, in der die Menschen nur vereinzelt von Bergsteigern gehört haben, über die sie nur mit Unverständnis reagieren konnten. Das vom Arzt Langdon Down 1866 erstmals beschriebene Down-Syndrom war noch weitgehend unbekannt und die unter der Trisomie 21 Leidenden wurden weder gefördert, noch von der Gesellschaft angenommen. Die Menschen der damaligen Zeit haben sich im Winter kaum gewaschen, wie von der Autorin beschrieben, und die Haarwäsche war ein Luxus, den man sich „nur wenige Male im Jahr gestattete“. Selbst mit einem gebrochenen Bein wurde kein Arzt konsultiert.

Susanne Betz hat sich nicht nur für den Titel „Heumahd“, was nichts anderes als das Mähen von Gras bedeutet, für eine veraltete Ausdrucksweise entschieden, sondern diese auch konsequent im Plot beibehalten, wenn von der Ernte auf „Stanggern“ oder vom „rösch“ getrockneten Heu die Rede ist. Das Mähen mit der Sense hat sie übrigens wie das Melken einer Kuh selbst ausprobiert. Ihre Protagonistin ging mit dem Knecht zum „Schneiteln“, womit der Rückschnitt von Bäumen gemeint ist. Begriffe, mit deren Erläuterung dem Leser das Verständnis leichter gemacht worden wäre.

Den Ort Loisbichl gibt es nicht, wohl aber die erwähnten Orte Krün und Wallgau sowie den Kochel- und Walchensee, deren verbindende Kesselbergstraße mit zahlreichen Kehren heutzutage Motorradfahrer anlockt. Gleiches gilt für den Wagenbruch- beziehungsweise Wagenbrüchsee, wie er auch genannt wird und den Weiler Gerold, eine kleine Siedlung, durch die heute ein Radweg von Garmisch Partenkirchen nach Mittenwald führt. Eine ausgezeichnete Recherche kann Susanne Betz auch zum im Plot angemerkten Tod von König Ludwig II. mit dem Läuten der Kirchenglocken zu Pfingsten 1886 attestiert werden. Tatsächlich hat dieser sich am Pfingstsonntag, 13. Juni 1886, im Starnberger See ertränkt, der damals allerdings noch Würmsee hieß und erst im Jahre 1962 umbenannt wurde.

Wer selbst schon einmal im Werdenfelser Land im Urlaub war, kennt die von Susanne Betz so anschaulich ausgeschmückten und einmaligen Farbspiele, die sich dem Betrachter beim Blick auf das Karwendel bieten. Die wörtliche Rede hat sie für ihr literarisches Werk „Heumahd“ eher sparsam verwendet, da der anspruchsvolle Roman von der Atmosphäre und der sehr realitätsgetreuen Schilderung einer Bauersfrau lebt, die im ausgehenden 19. Jahrhundert über ein noch sehr begrenztes Wissen verfügt hat.

Heumahd von Susanne Betz

Heumahd
C. Bertelsmann Verlag 2022
Hardcover mit Schutzumschlag
320 Seiten
ISBN 978-3-570-10345-6

Bildquelle: C. Bertelsmann Verlag


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