Gespenster zählen von Martin Peichl

Gespenster zählenWer das Buch „Gespenster zählen“ in Händen hält, dem fällt zunächst ein ungewöhnliches Format auf. Beim Aufschlagen der ersten Seiten wird deutlich, dass es sich bei dem Werk um etwas völlig anderes handeln muss, denn durchgängig finden sich auf der linken Buchseite Fotografien und lediglich auf den rechten Seiten Texte. Jeder dieser von Martin Peichl verfassten Texte erzählt von einem anderen Sachverhalt, steht also für sich, obschon immer derselbe namenlose Ich-Erzähler von seinem Leben berichtet.

Aus seinen Erinnerungen kann herausgelesen werden, dass er früher zu Hause mit seiner Mutter und Schwester gelebt hat. Seine spätere Lebenspartnerin, deren Name ebenfalls nicht genannt wird, kennt er aus der gemeinsamen Schulzeit. Das erste Mal geschah während eines Zeltlagers, bei dem sie betrunken war. Gemeinsam besuchten sie eine Tanzschule, warteten auf die Geburt des ersten Kindes. Später hat die Familie zwei Kinder, doch der immer älter werdende Protagonist hat sich offensichtlich immer jüngeren Frauen zugewandt. Dieses nicht mehr hinnehmbare „Paarungsverhalten“, wie es seine Partnerin oder vielleicht auch Ehefrau bezeichnet hat, war vermutlich der Grund für aufkommende Streitereien, weswegen eine Therapeutin in Anspruch genommen wurde. Schließlich musste sich das Paar von der Immobilie trennen, was wohl auch das Ende der Beziehung bedeutet.

Raum für weitere Interpretationen bietet die Frage nach dem Beruf des namenlosen Erzählers, denn es ist nicht nur an mehreren Stellen vom Sonnensystem, unseren Planeten und schwarzen Löchern die Rede, sondern auch davon, dass er selbst als Astronaut die Erdumlaufbahn verlassen hat. Dass er nach der Trennung von seiner Partnerin von „ihrer Tochter“ spricht, legt die Vermutung nahe, dass sie später noch mit einem anderen Partner ein Kind bekommen hat. Nicht einzuordnen sind die Erwähnung von Fingerabdrücken und einer gemeinsamen Befragung, weil offengelassen wird, wer von wem (von der Polizei?) befragt wird.

Eine Reihe der von Martin Peichl verfassten Textstellen weisen auf die von Menschen in ihrer Illusion existierenden geisterhaften Wesen hin. Die Geister stehen schon in der von Johann Wolfgang von Goethe geschriebenen Tragödie „Faust“ für etwas, von dem sich ein Mensch verfolgt fühlen kann und die er nicht mehr loswird. Auf den namenlosen Protagonisten bezogen könnte das bedeuten, dass er den Verlust seiner Partnerin noch nicht verarbeitet hat, obwohl seine letzten Worte „ich glaube nicht, dass du mir fehlen wirst“ dazu im Widerspruch stehen.

Zu den Texten, die nicht selten in unvollständigen Sätzen enden, finden sich in dem Buch farbige, ausdrucksstarke Fotografien von Matthias Ledwinka, in denen sich fast ausnahmslos eine Beziehung zum Text erkennen lässt und die zum mehr oder länger weilenden Betrachten geradezu einladen. Man kann nicht sagen, was genau den Leser zum Weiterlesen des Buches „Gespenster zählen“ bewegt, doch kann es auf einige von ihnen durchaus einen gewissen Reiz ausüben, indem ihn irgendetwas Undefinierbares nicht mehr loslässt.

Gespenster zählen von Martin Peichl

Gespenster zählen
Verlag Kremayr & Scheriau 2021
Hardcover
160 Seiten
ISBN 978-3-218-01282-9

Bildquelle: Verlag Kremayr & Scheriau
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