Die Suche nach einem unbekannten Geliebten
Nach dem plötzlichen Tod von Antonia Weber hat ihre Tochter nur noch einen Wunsch: Sie möchte dem Mann begegnen, der ihrer Mutter offenbar so viel bedeutet hat. Erinnerungen steigen in ihr auf: „Eine Liebe, in Gedanken“, geht es ihr durch den Kopf. Wer war dieser Mann? Falls der mittlerweile über Siebzigjährige noch lebt und wie jedes Jahr im Spätsommer in sein Haus zurückkehrt, muss sie ihn aufsuchen.
Eine Liebe in jungen Jahren
Vor über fünfzig Jahren verliebt sich Antonia, damals Mitte zwanzig, in Edgar Janssen. Am 4. Advent wartet sie bei ihrer Zimmerwirtin auf ihn, um ihn ihrer Familie vorzustellen. Edgar verspätet sich, und Antonia befürchtet, er könnte gar nicht mehr erscheinen. Doch dann überrascht er sie: Er holt sie mit einem neu gekauften Auto ab, und gemeinsam schaffen sie es noch rechtzeitig. Edgar gesteht ihr, Vater eines Kindes zu sein, und gibt unumwunden zu, wohl nicht der Mann zu sein, den sie sich erträumt hat. Doch Antonia stört das nicht im Geringsten. Sie ist glücklich, eine neue Arbeitsstelle anzutreten und sich endlich eine eigene Wohnung leisten zu können – auch wenn es nur ein Zimmer mit Küche und Bad im Dachgeschoss ist.
Abschied und unerfüllte Versprechen
Antonia ist mit ihrem Leben zufrieden, bis Edgar beruflich nach Hongkong muss. Die letzten gemeinsamen Stunden und Minuten vergehen viel zu schnell. Der Abschied fällt beiden schwer. Entweder wird er bald zurückkehren oder sie ihm folgen. Edgar schreibt ihr liebevolle Briefe, während Antonia sich nach ihm verzehrt. Schließlich macht er ihr per Telegramm einen Heiratsantrag und bittet sie, Wohnung und Arbeit aufzugeben, um zu ihm nach Hongkong zu kommen. Doch die versprochenen Flugscheine treffen nie ein.
Die Tochter als stille Beobachterin
Die Tochter von Antonia Weber bleibt im Roman Eine Liebe, in Gedanken* namenlos. Der Leser erfährt lediglich, dass sie mit Florian verheiratet ist und eine achtzehnjährige Tochter hat. Kristine Bilkau schildert diese Passagen im Erzählstil, wobei die Handlung eher spärlich ausfällt. Einmal begleitet die Tochter ihren Onkel in die Wohnung der Mutter und findet dort im Briefkasten einen Haftbefehl wegen unbezahlter Forderungen. Ansonsten dominieren Erinnerungen an Episoden aus ihrem Leben. Während die Autorin für die Perspektive der Tochter das Präsens wählt, lässt sie Antonia im Präteritum und in der Ich-Form berichten.
Gesellschaftliche Zwänge und stille Rebellion
Der Roman vermittelt ein eindrucksvolles Bild jener Zeit, in der Frauen nach zweiundzwanzig Uhr keinen Herrenbesuch mehr auf ihrem Zimmer empfangen durften. Fehlgeburten unverheirateter Frauen wurden möglichst vertuscht, und ein Rezept für die seit Anfang der sechziger Jahre erhältliche Antibabypille war längst nicht für alle Frauen so einfach zu bekommen wie heute. Aus Sorge vor einer Schwangerschaft rieten Mütter ihren Töchtern, es den Männern bloß nicht zu leicht zu machen.
Fazit: Melancholie und stille Kraft
Obwohl der Plot keine Überraschungen bietet und die teils langatmigen Passagen der Tochter ermüden können, entfaltet der Roman eine besondere, einfühlsame Stimmung. Vor allem die Rückblicke auf Antonias Leben berühren und ziehen den Leser in ihren Bann.
Eine Liebe, in Gedanken von Kristine Bilkau
Luchterhand Verlag 2018
Hardcover mit Schutzumschlag
256 Seiten
ISBN 978-3-630-87518-7