Die Vergessenen von Ellen Sandberg

Die VergessenenEs ist traurige Realität, dass Kriegsverbrecher nur zu oft ihrer gerechten Strafe entgehen konnten und diejenigen, die während des NS-Regimes an der Ermordung von Juden, politischen Häftlingen oder am Euthanasieprogramm beteiligt waren, konnten sich häufig der Verantwortung entziehen beziehungsweise wurden freigesprochen, und sie haben oftmals sogar nach dem Krieg weiter gearbeitet, wenn ihnen nicht auf der sogenannten Rattenlinie zuvor die Flucht nach Übersee geglückt ist. Um all die unschuldigen Opfer, um „Die Vergessenen“, die diese Mörder auf dem Gewissen haben, geht es in dem Roman von Ellen Sandberg.

Manolis Lefteris erhält von Rechtsanwalt Bernd Köster den Auftrag, für dessen Mandant ein Dossier in seinen Besitz zu bringen. Einem gewissen Christian Wiesinger soll Manolis die Unterlagen abnehmen, was er auch bereitwillig macht, da er Köster viel zu verdanken hat. Mit Hilfe einer IT-Spezialistin überwacht er Christian Wiesinger, der seiner Cousine Vera Mändler telefonisch mitteilt, dass ihre Tante Kathrin Engesser einen Schlaganfall erlitten hat. Seinem zufälligen Besuch ist zu verdanken, dass sie gerettet werden konnte. Seitdem scheint Christian spurlos verschwunden zu sein. Vera hofft, in der Wohnung ihrer Tante Kathrin einen Hinweis über seinen Verbleib zu finden. Sie wundert sich über ein aufgeschlagenes Fotoalbum, in dem er offensichtlich geblättert hat, das ihre Tante in Schwesterntracht während des Krieges in einer Heil- und Pflegeanstalt zeigt.

Manolis, der über Veras Handy jeden Schritt von ihr verfolgt und alles mithört, fragt sich, ob es eine Verbindung zwischen den Fotos und dem Dossier gibt, das er beschaffen soll. Vera findet heraus, dass in der Anstalt, in der ihre Tante gearbeitet hat, der Tod Behinderter billigend in Kauf genommen wurde, wenn sie nicht sogar systematisch umgebracht wurden. Als Journalistin hätte sie Interesse, darüber einen Artikel zu schreiben. Nachdem Christian erschossen an einem Baggersee aufgefunden wird, drängt sich ihr die Frage auf, ob seine Ermordung mit der Vergangenheit ihrer Tante im Zusammenhang steht. Manoli, der sie weiterhin überwacht, verfolgt, wie sie in einem Archiv nach alten Personalakten sucht. Seine Neugier wächst, wer der Auftraggeber von Köster ist, der ein offensichtlich starkes Interesse am Verschwinden der Unterlagen haben muss.

Auf den ersten Seiten des Romans „Die Vergessenen“ wird der Leser mit immer neuen Handlungspersonen konfrontiert, so dass er fürchtet, den Überblick zu verlieren. Doch kristallisieren sich schnell die Personen heraus, die für den Plot von Bedeutung sind. In dem Roman, der in Puncto Spannung so manchen Krimi in den Schatten stellt, wirft Ellen Sandberg einen Blick auf ein düsteres Kapitel deutscher Geschichte. In dem Buch betrifft das in erster Linie den fiktiven Anstaltsleiter Dr. Karl Landmann, der allerdings für viele während des NS-Regimes real agierende Personen steht. Für die Selektionen in der erwähnten Anstalt Winkelberg hat die Autorin als Vorlage das Isar-Amper-Klinikum in München-Ost herangezogen. Darüber hinaus macht sie noch auf ein weiteres Schicksal aufmerksam: In dem Dorf Daflimissa, das für ein am 10. Juni 1944 verübtes Massaker im griechischen Distomo steht, wurde der Vater von Manoli Zeuge eines Kriegsverbrechens und musste mit ansehen, wie seine Familie bestialisch abgeschlachtet wurde. Insofern ist Manoli immer mehr persönlich von den Ereignissen im weiteren Geschehen betroffen.

Von der ersten bis zur letzten Seite zieht Ellen Sandberg den Leser in den Bann und stellt sämtliche Protagonisten authentisch dar. Der auf ganzer Linie überzeugende Roman besticht durch eine meisterhafte Erzählkunst und nicht endend wollende Aneinanderreihung von überraschenden Wendungen. Lediglich die Tatsache, dass er so seitenstark ist, verhindert, dass er ohne Unterbrechungen gelesen werden kann. Was für ein großartiges Werk!

Die Vergessenen von Ellen Sandberg

Die Vergessenen
Penguin Verlag 2017
Klappenbroschur
512 Seiten
ISBN 978-3-328-10089-8

Bildquelle: Penguin Verlag
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