Der Galgentänzer von Thomas Binder

Johann Baptista Herrenberger, genannt Konstanzer Hans, ist Ende des 18. Jahrhunderts schon zu Lebzeiten eine Legende im Schwarzwald. Als Räuber wird er gefürchtet und bewundert, und seine Raubzüge führen ihn vom Bodensee über die nahegelegene Schweiz bis in die Rheinebene am Hochrhein. Er wurde 1759 in Oppenau als Sohn eines Flickschusters geboren, und da der Lohn des Vaters nicht reicht, um die Familie zu ernähren, muss er schon als Kind betteln gehen. Hans hasst das Betteln und deshalb lässt er sich im Alter von acht Jahren an einem Markttag in Oberkirch von seinem Freund Jakob zu einem Diebstahl überreden. Doch Hans wird auf der Flucht gefasst. Sein Vater, der alte Konstanzer, wie der Flickschuster von den Leuten genannt wird, ist über den von seinem Sohn begangenen Diebstahl sehr aufgebracht und er will ihm zeigen, wie er einmal enden wird, wenn er nicht mit dem Stehlen aufhört. Eines Morgens weckt er Hans in aller Frühe, um mit ihm nach Oppenau zu gehen, wo an diesem Tag eine Hinrichtung stattfindet. Hans soll mit eigenen Augen sehen, wie ein Dieb am Galgen endet.

Im Herbst 1774 ist der alte Konstanzer als Flickschuster im Kloster Allerheiligen beschäftigt, und während der vierzehnjährige Hans im Kloster mitarbeitet, hilft seine zwei Jahre jüngere Schwester der Mutter bei Näharbeiten. Hans würde gerne im Kloster bleiben, denn die Pater benötigen immer fleißige Leute und sind mit seiner Arbeit sehr zufrieden. Das Kloster hat eine gute Schule und man würde ihm Latein und Mathematik beibringen, doch der Vater erlaubt es nicht und will mit seiner Familie nach Konstanz weiterziehen.

Einige Jahre später, Hans ist fast achtzehn Jahre alt, kommt es zu einem heftigen Konflikt mit dem Vater. Daraufhin packt Hans seine wenigen Habseligkeiten sowie eine Kiste mit Heiligenbildern und spanischen Kreuzen, die er seit einiger Zeit an die Bauern in der Umgebung verkauft. Sein Weg führt ihn nach Rottweil, wo er den Schul-Toni, einen berüchtigten Gauner, treffen will. Hans, der von dem ausschweifenden Räuberleben des Schul-Tonis sehr beeindruckt ist, lässt sich von ihm überreden, an einem nächtlichen Einbruch teilzunehmen, womit seine Laufbahn als Räuber ihren Anfang nimmt.

Die Romanbiografie „Der Galgentänzer“ ist eine auf Tatsachen beruhende wahre Geschichte, die Thomas Binder nach historischen Überlieferungen aufgeschrieben hat. Im Gegensatz zu den Legenden, in denen Räuber zu edlen Helden hochstilisiert werden, die Reiche berauben und das Geld den Armen geben, räumt der Autor in seinem Roman mit diesen Mythen gründlich auf. Denn die Bestohlenen waren in den meisten Fällen keine reichen Leute, und die Beute bestand häufig nur aus wenigen Lebensmitteln oder einer Speckseite und manchmal ein paar Gulden. Größere Beute gab es nur selten, und die Räuber gingen bei ihren Raubzügen mit äußerster Brutalität vor. Ausführlich schildert der Autor das Schicksal von Mitgliedern verschiedener Räuberbanden, deren Leben häufig von bitterer Armut und Hunger geprägt war. Sie waren Außenseiter der Gesellschaft und mussten mit der ständigen Angst leben, am Galgen zu enden, denn die meisten Räuber wurden nicht alt.

Der Konstanzer Hans wollte einem Schicksal entgehen, das am Galgen enden würde, weshalb er sich als Händler und Soldat versuchte. Doch immer wieder trieb es ihn zurück zu seinesgleichen. Die Romanbiografie schildert den Werdegang eines Mannes, der nicht dumm war, aber aufgrund seiner Herkunft nicht die geringste Chance auf ein besseres Leben hatte, das im Armenhaus von Ludwigsburg endete. In vier eingeschobenen Kapiteln zu den Themen „Armut, Strafe, Gauner und Strafverfolgung“ klärt Thomas Binder den Leser über die Lebensbedingungen im Schwarzwald des 18. Jahrhunderts auf, als Handwerker noch mit ihren Familien durch die Gegend zogen und mit ihrer Arbeit so wenig verdienten, dass sie ihre Kinder zum Betteln schicken mussten, damit die Familie nicht verhungerte. Der gut recherchierte authentische Fall des Konstanzer Hans ist ein Stück Zeitgeschichte, die äußerst spannend und unterhaltsam geschrieben wurde.