Der zweite Band Das Glück unserer Zeit – Das Vermächtnis der Familie Lagerfeld von Heike Koschyk setzt im Jahr 1925 an. Nach nur sieben Monaten Ehe verstarb bei der Geburt der Tochter vor drei Jahren Otto Lagerfelds erste Ehefrau Theresia. Nun ist er alleinerziehender Vater einer Dreijährigen, der seine Sorgen gelten. Doch auch um seinen Bruder Paul, von dem er schon lange nichts mehr gehört hat, sorgt er sich. Denn anders als dessen Ehefrau Gertrud, die noch vor Ausbruch des 2. Weltkrieges mit den beiden Kindern Amerika verlassen konnte, hat er es nicht mehr geschafft. Schon allein um Gertrud zu helfen, die durch die Inflation ein Vermögen verloren hat und als Magd arbeiten muss, stellt Otto Nachforschungen an. Wie ihre beiden Kinder hofft Gertrud, eines Tages ihren Mann wiederzusehen.
In dieser schweren Zeit erfährt Otto, der mit seinem Bruder Hans die Glücksklee Kondensmilch vermarktende Unternehmung Lagerfeld & Co leitet, dass Tausende Kisten Kondensmilch, die ein Vermögen einbringen sollten, plötzlich wie vom Erdboden verschluckt sind. Ist Otto ausgerechnet von seinem Exportmitarbeiter in China, mit dem er in Sibirien in Kriegsgefangenschaft war, übers Ohr gehauen worden? Sollten die Kisten nicht mehr auffindbar sein, würde das den Ruin der Firma bedeuten. Immerhin naht in letzter Minute per Telegramm aus New York die Rettung: Der Verlust wird von der Versicherung gedeckt. Doch dafür macht den Brüdern ein neues Zollgesetz zu schaffen. Sie sind deshalb gezwungen, in Zukunft selbst zu produzieren, was hohe Investitionen für Maschinen bedeutet, die Hans nicht mittragen will. Er steigt aus der Firma.
Otto ist umgeben von Sorgen. Die Kinderfrau seiner Tochter wird ihn bald verlassen und er weiß nicht, wer sich dann so liebevoll um seine Kleine kümmern könnte. Er muss einen Platz für das neue Betriebsgelände finden, und die Amerikaner nutzen seine finanzielle Notlage aus. Ihm bleibt nichts anderes übrig, als ihnen die Markenrechte zu überschreiben, um wenigstens als Generaldirektor seine Unternehmung weiter leiten zu dürfen. In dieser schweren Zeit trifft er auf Elisabeth Bahlmann, eine couragierte und selbstbewusste Frau. Er verliebt sich in Ebbe, nicht ahnend, wie berechnend sie ist, und heiratet sie schließlich.
Heike Koschyk schreibt den Roman, wenn man vom ersten Kapitel absieht, das wie das letzte im August 1966 angesiedelt ist, in chronologischer Reihenfolge. Das Leben von Otto Lagerfeld, Vater des Modeschöpfers Karl Lagerfeld, wurde von einer Reihe von Schicksalsschlägen getroffen. Nach seiner Gefangenschaft hat er die Inflation 1923, den Aufstieg der Nationalsozialisten bis hin zum 2. Weltkrieg und dem nachfolgenden Wirtschaftswunder erlebt. Nicht nur einmal hat er zur Rettung seiner Glücksklee Milchgesellschaft hoch gepokert in der Hoffnung, irgendwo im Ärmel doch noch ein AS zu finden. In weiser Voraussicht hat er dank guter Planungen seine Familie sicher durch diese schwere Zeit gebracht. Wobei seine Sorgen nicht nur seiner Frau und seinen Kindern galten, sondern auch seiner kompletten Familie, die er immer bemüht war zusammenzuhalten.
Otto Lagerfeld hat sich in seinem Leben kaum Freizeit gegönnt und wie Heike Koschyk für ihren Roman Das Glück unserer Zeit – Das Vermächtnis der Familie Lagerfeld nur mutmaßen konnte, hat er im Alter mit Bedauern feststellen müssen, dass Moral und Anstand nicht mehr den Wert haben, der in seinen jungen Jahren galt. Wie die Autorin in ihrem Nachwort schreibt, hat sie zwecks Recherche zum Teil unveröffentlichte Dokumente, Briefe und Bilder einsehen können. Weiterhin hat sie Interviews mit Zeitzeugen geführt und auch auf im Anhang gelistete Literatur zurückgegriffen, um eine möglichst authentische Darstellung der Ereignisse zu gewährleisten. Schließlich erklärt sie ausführlich, was im Plot Fakt und Fiktion ist. Der vielschichtige Roman liest sich spannend und ist ein bedeutendes Zeitzeugnis!
Das Glück unserer Zeit – Das Vermächtnis der Familie Lagerfeld von Heike Koschyk
Goldmann Verlag 2022
Klappenbroschur
496 Seiten
ISBN 978-3-442-20633-9