Béla wird inmitten der Kriegswirren im Zweiten Weltkrieg in Budapest geboren. Nach der Geburt seines Bruders Istvàn müssen die Geschwister mit ihrer Mutter vorübergehend in einer Obdachlosenunterkunft wohnen, da ihr Haus von den Kommunisten enteignet wurde. Für ein paar Wochen holt sie ihre Tante aufs Land, bevor sie sich wieder in Budapest durchschlagen müssen. Als der Vater aus der Gefangenschaft kommt, währt das Familienglück nur kurz. Um dem Tod durch den Strang zu entgehen, muss er fliehen. Durch die verminte Todeszone gelingt ihm die Flucht in die sowjetische Besatzungszone nach Österreich. Unterdessen wird Béla eingeschult und steigt in seiner freien Zeit gerne mit Istvàn und einem alten Mann auf Berggipfel, wo er dessen Worten lauscht. Demnach soll er, Béla, später einen Gipfel besteigen, der ihm den Blick auf die Welt eröffnet. Er wird „Zusammenhänge erkennen, dem Sinn begegnen und Zuversicht verspüren“. Doch Zeit seines Lebens bleibt das für Béla „Der Berg, der nie bestiegen wurde“.
Im Oktober 1956 wird Budapest tagelang durch die Geheimpolizei belagert. Eine zunächst friedliche Demonstration mündet in einem Aufstand, der mit dem Einmarsch russischer Truppen niedergeschlagen wird. Herr Vass, ein Nachbar, kann Bélas Mutter zur gefahrvollen Flucht mit den beiden kleinen Kindern nach Österreich überreden. Doch die Österreicher verfrachten sie täglich von einem Ort an einen anderen, bevor für sie in der Schweiz endlich Ruhe einkehrt. Es dauert noch viele Jahre, bis die Familie mit dem Vater vereint ist. Béla studiert Mathematik, tritt in den Jesuitenorden ein, studiert Latein und Philosophie, später auch Theologie und Kybernetik. Doch ihn plagen zunehmend Zweifel an den Grundlagen der Religion, so dass er schließlich nach sieben Jahren im Alter von achtundzwanzig Jahren dem Ordenshaus den Rücken kehrt. Nach kurzer, unglücklicher Ehe in Rom, kommt Béla zurück nach Zürich, entdeckt sein Interesse für die Finanzwelt, wird Bankdirektor und eröffnet in Budapest als Finanzberater ein Büro.
Der Lebenswege von Béla weist deutliche Parallelen zur Biografie von Gabor Laszko auf, denn auch er wurde inmitten der Kriegswirren in Budapest geboren, floh nach dem Volksaufstand in die Schweiz, trat in den Jesuitenorden ein, studierte dieselben Fächer wie sein Protagonist und arbeitete letztlich als Bankdirektor und selbstständiger Finanzberater, bevor er einen ersten Roman veröffentlichte. Schon als Kind wurde Béla, wie vermutlich auch der Autor selbst, Zeuge eines schrecklichen Verbrechens, von dem er erst viel später erfahren hat, dass es sich um das Konzentrationslager Mauthausen handelte. Gabor Laszko weiß von den an die Macht gekommenen Kommunisten zu berichten, die in seinem Heimatland Tausende wegen der Teilnahme an Kriegshandlungen ohne Prozess zum Tode verurteilt haben, wobei sie sich „gekaufter“ Zeugen bedienten.
Die Oktoberrevolution, der ungarische Volksaufstand am 4. November 1956, die von den Sowjets blutig niedergeschlagen wurde, vertrieb auch den Autor mit seiner Familie aus der Heimat. In seinem Roman „Der Berg, der nie bestiegen wurde“ räumt er daher der Flucht seiner Handlungspersonen einen breiten Raum ein. So spannend diese authentisch wirkenden Schilderungen auch sind, so grotesk wirkt eine spektakuläre Szene, bei der sich Herr Vass über ein Fenster Zugang in einen Zug verschaffen will. Sehr ausführlich geht Gabor Laszko auch auf das Leben der Ordensbrüder ein, das er einer kritischen Betrachtung unterzieht. Unter anderem schreibt er von Schuldgefühlen, die „der Brutkasten der Fügsamkeit“ sind. Schließlich hat bei ihm, wie bei seinem Protagonisten, die „Gehirnwäsche das Ziel verfehlt“.
Bereits auf der ersten Seite fällt ein ganz eigener, unverkennbarer Schreibstil des Autors mit amüsanten und interessanten Umschreibungen auf, der sich wie ein roter Faden durch den Roman mit deutlichen autobiografischen Zügen zieht. Allein schon durch die Wortwahl weckt der Autor das Interesse zumindest der Leser an den weiteren Handlungsverlauf, die einen gewissen Anspruch an ein Buch erheben. Der Plot ist ein stetiges Auf und Ab im Leben von Béla, geprägt von Hoffnung und Hoffnungslosigkeit. Es wechseln sich gefahrvolle Momente voller Spannung mit dem ruhigen Alltag der Jesuiten ab. Eine zutiefst berührende Lektüre, die nicht so schnell abgeschüttelt werden kann.
Der Berg, der nie bestiegen wurde von Gabor Laczko
Buch & Media 2018
Hardcover mit Schutzumschlag
200 Seiten
ISBN 978-3-95780-130-2