Kriminalfall mit internationalem Sog
Schnell ist für Hauptkommissarin Verena Mayer-Galotti und ihren Kollegen André Hase klar: Der Sturz von Randolf Bock aus dem fünften Stock eines Berliner Hotels war kein Unfall, sondern Mord. Die Ermittlungen führen die beiden zu Bocks Arbeitgeber sowie zu Paul Kamm und der Table-Dancerin Martha Maaßen, deren Verhalten die Ermittler überrascht.
Eine Fotokappe mit Fingerabdrücken von Ari Kelch, gefunden unter dem Fenster des Toten, bringt Bewegung in den Fall. Bei Kelch wird belastendes Fotomaterial gefunden – er wird vorläufig festgenommen. Doch statt sich weiter als Fotograf auszugeben, behauptet Kelch nun, als Privatdetektiv gearbeitet zu haben, und bietet Mayer-Galotti seine Unterstützung an.
Phantomzeichnungen, Kunsthandel und ein gefährlicher Ausflug nach Tarascon
Eine veröffentlichte Phantomzeichnung, basierend auf den Aussagen einer Augenzeugin, bringt einen entscheidenden Hinweis: Ein Verkäufer meldet sich mit dem Namen des Mörders. Das Verhör des Vorgeladenen Hans Müller führt die Kommissarin schließlich auf die Spur seines Auftraggebers – des Lebemanns Konrad Bessi, der mit Martin Hiems in Bariloche (Argentinien) lebt.
Bessi hat ein Millionen wertvolles Kunstwerk geerbt, das er verkaufen will. Laut Kelch war Bessi auch sein Auftraggeber. Gemeinsam reisen er und Mayer-Galotti nach Tarascon, wo der Verkauf stattfinden soll. Doch dort warten nicht nur neue Erkenntnisse, sondern auch tödliche Gefahren.
Historischer Hintergrund: NS-Fluchtwege und verschollene Kunst
Der Roman greift ein brisantes Thema auf: Die Fluchtrouten hochrangiger Nationalsozialisten nach dem Zweiten Weltkrieg. Wie eine Spiegel-Reportage vom 21.04.1997 aufdeckte, unterstützten Juan Perón, der Vatikan (u. a. unter Papst Pius XII.) und das Rote Kreuz die Flucht vieler Kriegsverbrecher nach Südamerika – unter Duldung des amerikanischen Geheimdienstes. Neben der Route über den Hafen Genua gab es eine sogenannte Klosterlinie mit Schiffsüberfahrten, deren Kosten vom Roten Kreuz übernommen wurden.
Das im Roman erwähnte Kunstwerk Maler auf dem Weg nach Tarascon ist tatsächlich ein verschollenes Gemälde von Vincent van Gogh, das einst zum Kaiser-Friedrich-Museum Magdeburg gehörte. Wie tausende andere Kunstwerke gilt es seit dem Krieg als verloren.
Die Autorinnen und ihr Stil
Die drei Autorinnen – Doris Bewernitz, Julia Christ und Annett Heibel – haben sorgfältig recherchiert und ihre Quellen im Anhang dokumentiert. Auch Abel Basti, der umstrittene Journalist und Autor, der behauptet, Hitler sei ebenfalls nach Argentinien geflüchtet, wird im Roman als Randfigur verarbeitet.
Auffällig: Die Ermittlerfiguren sind alles andere als klischeehaft. Verena Mayer-Galotti wirkt teils unprofessionell, lässt sich von persönlichen Gefühlen leiten, während ihr Kollege Dennis fast durchgehend fehlt – sei es krankheitsbedingt oder wegen Urlaub.
Fazit: Fiktion trifft auf unbequeme Wahrheiten
Obwohl Rattenlinie Bariloche* ein fiktiver Roman ist, berührt er reale historische Abgründe mit beeindruckender Intensität. Die Handlung wirft nicht nur Fragen nach individueller Schuld auf, sondern auch nach systemischer Verantwortung kirchlicher und humanitärer Organisationen. Leser:innen werden nicht nur unterhalten, sondern zum Nachdenken über Gerechtigkeit, Erinnerungskultur und Verdrängung angeregt.
Rattenlinie Bariloche von Doris Bewernitz, Julia Christ und Annett Heibel
Südwestbuch Verlag 2014
Taschenbuch
246 Seiten
ISBN 978-3-944264-03-5