Ein Rekrut zwischen Rockmusik, Zeitgeist und Kaserne
In Allgäu Sixties* erzählt Peter M. Roese mit viel Witz und nostalgischer Tiefe vom Leben als Rekrut auf dem Fliegerhorst Kaufbeuren in den 1960er Jahren. Die Hauptfigur Rossner, ein freiwilliger Wehrpflichtiger, erlebt gemeinsam mit seinen Kameraden die teils absurden, teils charmanten Seiten des militärischen Alltags.
Es ist die Zeit des Minirocks, der Antibabypille, Twiggy, von Fernsehklassikern wie Bonanza und Mit Schirm, Charme und Melone, von Beat-Club, Apollo-Missionen – aber auch von Benno Ohnesorg, Rudi Dutschke, Alexander Dubček, dem Vietnamkrieg, dem Mord an John F. Kennedy und der legendären Woodstock-Ära.
Alltag, Anekdoten und amouröse Abenteuer
Rossner nimmt an Manövern („Kriegsspiele“) teil, verbringt seine Freizeit im Freibad, wo das Anbandeln mit dem „schönen Geschlecht“ höchste Priorität hat. In seiner Sturm-und-Drang-Zeit symbolisiert zartrosa Spitzenunterwäsche mit Strumpfhalter für ihn die „Sünde in Person“. Widerstand zwecklos: Wird er von einem Mädchen gefragt, ob er noch mit in die Wohnung kommt, endet der Abend häufig beim Knutschen und Fummeln – denn offiziell gilt: Keuschheit vor der Ehe.
Auch eine Munga-Fahrt mit 15:1-Benzin-Öl-Gemisch, Diskussionen über die Starfighter-Abstürze, Wachdienst, Führerschein beim Bund, Vertrauensmannwahl und ein Auftritt als Bandmitglied beim Schulball gehören zu seinen Erlebnissen. Die Geschichte kulminiert in einer revolutionären Rede, einer Verlobung, einer Orientreise, der Mitgründung einer Tankstelle – und schließlich in einem Jobangebot in Nigeria.
Sprachwitz und Zeitkolorit mit Soundtrack
Roeses Erzählweise lebt vom musikalischen Zeitkolorit – Beatles und Rolling Stones begleiten die Handlung wie ein eingebauter Soundtrack. Auch sprachlich sprüht der Roman vor Originalität: Eine Kuhherde wird zum „Milchbombengeschwader“, ein geringer IQ liegt „zwischen Zimmertemperatur und dem Herzschlag einer Gebirgsschnecke“, und ein Schreibstubenhengst wird als „A…kriecher“ entlarvt.
Satirisch wird etwa beim Kuppeleiparagraphen gefragt, ob der Förster angeklagt werden müsste, wenn sich ein Paar im Wald vergnügt. Trotz all der flapsigen Sprüche gelingt es Roese, auch ernste Themen wie Krieg und atomare Bedrohung mit einzubinden.
Allgäuer Schauplätze und historische Einblicke
Zugleich bietet der Roman eine liebevolle Hommage an die Region Allgäu: Der Autor vermittelt Hintergrundwissen über die örtliche Geschichte, Märchenschlösser, Seen, die Fugger, Ost-West-Deserteure, Sprachdialekte und sogar die erste urkundliche Erwähnung einzelner Städte. Immer wieder werden reale Details geschickt mit Fiktion verwoben.
Persönlich gefärbte Fiktion mit Zeitzeugenkraft
Peter M. Roese selbst diente einst beim Fliegerhorst Kaufbeuren, was der Geschichte eine authentische Note verleiht. Zwar ist der Roman eine fiktionale Erzählung, doch autobiografische Elemente fließen unverkennbar mit ein – stets unter dem Schutzmantel künstlerischer Freiheit.
Fazit
Allgäu Sixties* ist eine liebenswerte Zeitreise, die zwischen Satire, Nostalgie und Milieuschilderung changiert. Wer ein Faible für die 60er Jahre, Wortwitz und skurrile Militärerlebnisse hat, wird hier bestens unterhalten – und zugleich mit kulturgeschichtlichem Tiefgang überrascht.