Schattenschwester von Tina N. Martin

Schattenschwester Die Fotografin Vera Bengtsson macht gerade einige Schnappschüsse eines Brautpaares vor einer Kirche, als unvermittelt hinter dem Paar eine Person vom Kirchturm zu Boden stürzt. Calle Brandt von der Kripo in Luleå richtet zuerst einige Fragen an den Pfarrer, bevor er sich trotz Sonntag dazu entschließt, seine Kollegin Idun Lind anzurufen, die ihren letzten Urlaubstag bei ihrem Freund Tareq genießt. Wie zu erwarten, will Idun zunächst nicht einlenken, doch als sie erfährt, dass es sich bei der Toten um ihre siebzehnjährige Cousine Elvira Lind handelt, frühstückt sie nur noch schnell und besteigt den ersten Flieger. Mittlerweile ist von der Rechtsmedizinerin Svetlana zu erfahren, dass der Tod durch Genickbruch sofort eingetreten ist und die junge Frau wegen ihrer auffallenden Blässe vermutlich viele Jahre ohne Sonnenlicht verbracht haben muss. Die Obduktion ergibt, dass sie vor mindestens zwei Jahren entbunden hat und ihre Geburtsverletzungen sind eindeutig schlecht versorgt worden.

Idun und Calle finden heraus, dass Elvira vor drei Jahren aus der geschlossenen Abteilung der Therapieeinrichtung Bodengåden geflohen ist, die nur einhundert Meter von der Kirche entfernt ist, von dessen Turm sie zu Tode gestürzt ist. Die Ermittler vernehmen die Betreuer Beata und Knut sowie die Therapeutin Mona. Auch sprechen sie mit der Leiterin Viveca, die mit hohen Absätzen versehenen Lederschuhen und stets schwarzer Kleidung eine ungewöhnliche Erscheinung abgibt. Verärgert nehmen Idun und Calle zur Kenntnis, dass ihnen die Betreuer verschwiegen haben, dass mit Agnes Backe vor zwei Monaten ein weiteres Mädchen verschwunden ist. Als sich die Fotografin mit Aufnahmen bei ihnen meldet, die eindeutig eine zweite Person auf dem Kirchturm zeigen, wird deutlich, dass der Sturz kein Suizid war, und sie müssen nunmehr von einem Mordfall ausgehen.

Noch einmal sprechen die Ermittler nach einem richterlichen Beschluss in Punkto Entbindung von der Schweigepflicht mit Beata und Knut und suchen Danne auf, der zuvor ebenfalls in Bodengåden untergebracht war und möglicherweise der Vater des von Elvira geborenen Kindes sein könnte. Schließlich kennen sie keinen anderen Ausweg und entschließen sich zu einem Undercover-Einsatz, bei dem Tareq, Iduns Freund und ebenfalls ein Kripokollege, eingeschleust werden soll.

Tina N. Martin beginnt ihren Thriller „Schattenschwester“ mit dem Vorsatz von Elvira, die sich das Leben nehmen will, nachdem sie sechs Monate hinter Mauern verbringen musste. Sie hat nur noch sechs Wochen bis zur Geburt des Kindes, dem sie jedoch mit einem Suizid ihr eigenes Schicksal ersparen möchte. Mit diesem Einstieg macht die Autorin ihre Leser neugierig auf den weiteren Handlungsverlauf. Obwohl diese gelegentlich mehr als die Ermittler wissen, nimmt ihnen das nicht die Spannung, denn bis kurz vor dem Ende des Plots kennen sie nicht die Verbindung zwischen den in Bodengåden untergebrachten jungen Mädchen und den beiden aus dieser Einrichtung Geflüchteten: Wie zuvor Elvira, ist auch Agnes an einem unbekannten Ort gefangen und muss sich dort gegenüber einer Person über Funkkontakt fügen, die sie mit Mutter ansprechen muss und von der ihr Stromschläge bei nicht Befolgung drohen.

In zahlreichen Rückblicken wird vom Leben der Zwillinge Molly und Emma bei ihren Eltern erzählt, die von einer zwar besorgten, aber dennoch nicht gefühlvollen Mutter erzogen werden. Brav bedanken sie sich über Geschenke zum Geburtstag und zu Weihnachten, obwohl sie sich darüber nicht freuen können und sind lediglich glücklich, wenn ihre Großmutter zu Besuch kommt. In diesen für den Leser zunächst noch nicht verständlichen Rückblicken, in denen Emma auch darunter leidet, dass ihre geliebte Molly eines Tages von einer „Wölfin im Schafspelz“ geholt wird, werden die Veränderungen in Emmas Wesen deutlich, die letztlich zu ihrer Einweisung in Bodengåden geführt haben.

Der überaus spannende und nachdenklich stimmende Thriller „Schattenschwester“, der aus dem Schwedischen von Leena Flegler übersetzt wurde, ist zwar fiktiv, wie Tina N. Martin in ihrer Danksagung betont, doch „trotzdem handelt er von einem realen und überaus ernsten gesellschaftlichen Problem“, dem sich die schwedische Regierung im Januar 2023 mit einem „viel beachteten Bericht“ annahm. Geschickt lenkt die Autorin den Verdacht von der gesuchten Person ab, und wenn es nicht gerade um Idun und ihre privaten Sorgen geht, krampft sich beim Leser wie bei den Protagonisten, um die er bangt, vor Angst der Magen zusammen.

Schattenschwester von Tina N. Martin

Schattenschwester
Übersetzung von Leena Flegler
Blanvalet Verlag 2025
Klappenbroschur
560 Seiten
ISBN 978-3-7341-1382-6

Bildquelle: Blanvalet Verlag


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