Peter Pinscher ist Single und Todesursachenermittler bei der Kripo. Nach dem Tod seines Vaters lebt seine Mutter im Altersheim seines Heimatortes Mündendorf. Wegen der Heimkosten hat er das Haus verkauft, was er ihr gegenüber allerdings verschweigt. Stattdessen lässt er sie in dem Glauben, dass sie nach einer notwendigen Renovierung wieder nach Hause kann. Eines Tages benimmt er sich einem Passanten gegenüber unrühmlich und wird deshalb von seiner Vorgesetzten unverzüglich vom Rhein nach Mündendorf strafversetzt. Dort soll er, wie ihm sein neuer Chef und alter Schulkollege Paul Goranek mitteilt, als Bezirksdienstbeamter Vorträge in Kindergärten und Schulen halten.
Peter versucht sich damit zu trösten, dass er an seiner neuen Dienststelle endlich einen Hund halten und seine Mutter täglich besuchen kann. Als in der Oestertalsperre die Wasserleiche von Elisabeth Seifert, für ihn immer nur Glotzen-Elsbeth, aufgefunden wird, horcht er auf, denn der Käufer seines Hauses war ihr Sohn Kurt. Peter, der diesen wie so viele im Dorf aus Schulzeiten kennt, weiß, dass er gerne Apotheker geworden wäre, weshalb er den Obduktionsbericht anzweifelt und zum ersten Mal in seinem Leben ermittelt.
So viel zur Rahmenhandlung des Romans Kleinstadtfarben*. Doch hat Martin Becker in den Plot weitere Ereignisse einfließen lassen: Beispielsweise trifft sein Protagonist in Mündendorf Anna Leid wieder, für die er bereits in der Schule geschwärmt hat und die seine Ängste als studierte Psychologin therapieren will. Peter Pinscher, der ausschließlich von seiner Mutter Peterle genannt werden darf, führt ein Gespräch mit einem Reporter der Lokalzeitung, hält eine Trauerrede und während sein Vorgesetzter in Finnland weilt, hat er in dessen Auftrag eine besondere Aufgabe zu erfüllen, wobei er, wie er selbst kommentiert, die „hohe Kunst der Kriminaltechnik“ anwendet und durchaus zum Schmunzeln verleitet.
Was den Protagonisten selbst betrifft, bereitet ihm sein Ischiasnerv Probleme, er trinkt und raucht zu viel und ist übergewichtig. Bei den Treffen mit Anna ist er nervös und traut sich nicht einmal, ihre Finger zu berühren. Obwohl er als „Kommissar bei der Großstadtpolizei“ eine Waffe trägt, behauptet er von sich, ein „Schisser vor dem Herrn“ zu sein. Seine Ängste, so kann angenommen werden, sind tief in seiner Kindheit verwurzelt, da seit jeher alle „Dinge ein schlechtes Ende nehmen“.
Martin Becker hat den Roman chronologisch aufgebaut, was gedankliche Rückblicke von Peter Pinscher nicht ausschließt und auf die Kenntlichmachung der wörtlichen Rede verzichtet, was eine erhöhte Konzentration des Lesers erfordert. Neben der Erwähnung einiger medizinischer Fachbegriffe führt er diesem das spießbürgerliche Leben der Eltern seines Protagonisten vor Augen und macht auf unmenschliches Handeln im Krankenhaus, die geringe Größe eines Zimmers im Pflegeheim, das lediglich als „Kinderschuhkarton“ bezeichnet werden kann, sowie den Alltag im Altersheim aufmerksam, bei dem die Bewohner schon im Bett liegen, wenn noch die Sonne scheint.
Mit der Oestertalsperre im Sauerland ist im Roman Kleinstadtfarben* zwar ein realer Ort genannt, Mündendorf ist jedoch ein fiktiver Ort. Martin Becker „spielt“ mit Worten, wenn er den Möchtegernapotheker Kurt Seifert als einen seltsamen Dr. Seltsam betitelt oder glaubt, dass jemand, der mit Nachnamen Leid heißt, nie mehr froh werden kann. Der Autor bezieht den Leser in die Geschichte ein, indem er unter anderem schreibt, dass WIR an dieser Stelle sagen oder auch WIR Peter näher betrachten müssen. Insgesamt passt der Schreibstil nicht in die Kategorie Nullachtfuffzehn, was in dem Fall positiv verstanden werden darf, denn einfache Kost ist die Lektüre nicht!
Kleinstadtfarben von Martin Becker
Luchterhand Verlag 2021
Hardcover mit Schutzumschlag
288 Seiten
ISBN 978-3-630-87637-5