Kascha Nord-Nordost von Anne C. Voorhoeve

Kascha Nord-NordostValentina Natzweiler, dessen Sinti-Name Kascha lautet, lebt mit ihren Eltern, dem Großvater und ihren Geschwistern Zippi, Janko, Hanno und Gecko in Groß-Mooren an der Ostsee. Am 28. Dezember bittet sie ihr Nachbar Hugo Müller, für ihn einen Brief einzuwerfen. Bei noch milden Temperaturen macht sie sich mit dem Fahrrad und in Begleitung ihres Bruders Janko auf den Weg. Spontan entscheiden sie, bei ihrer Tante Lonny vorbeizuschauen. Doch der Wind gewinnt an Kraft und es wird merklich kälter. Als die fast Zwölfjährige mit ihrem jüngeren Bruder durchgefroren bei der Tante ankommt, knallt ihnen ihre Cousine Bettina die Tür vor der Nase zu. Sie will mit den „Scheißzigeunern“ nichts zu tun haben, da ihre Mutter einen Gadsche, einen Nicht-Sinti, geheiratet hat.

Während des kurzen Besuchs am Nachmittag gibt es einen plötzlichen Wintereinbruch und es schneit ununterbrochen. Da die Kinder nicht mehr mit dem Rad nach Hause fahren können, soll ihnen ihr Bruder Hanno mit dem Geländewagen entgegenkommen, während sie von ihrem Onkel Harald mit dem Auto gefahren werden. Doch der Wagen landet im Graben und als Hanno auf die Verunglückten trifft, müssen Bettina und ihr Vater notgedrungen mit auf den Hof der Sinti, wo das Nachtlager in der beheizbaren Scheune aufgeschlagen wird. Binnen kurzer Zeit hat es aufgrund der eisigen Kälte aus Nordost einen Temperatursturz gegeben und der Rundfunk gibt eine Hochwasserwarnung heraus. Der Eisregen hat gerissene Überlandleitungen zur Folge und es gibt weder Strom, Heizung, noch Wasser. Die Fenster sind zugeschneit und die Türen lassen sich nicht mehr öffnen. Es ist von einer Schneekatastrophe die Rede, Soldaten sichern per Hubschrauber die Deiche.

Anne C. Voorhoeve hat den Plot ihres Jugendromans „Kascha Nord-Nordost“ zum Zeitpunkt der Schneekatastrophe, die am 28. Dezember 1978 Norddeutschland heimsuchte, angesiedelt. Sie schreibt von den Problemen, denen sich die Menschen in einer solchen Ausnahmesituation gegenüberstehen. Sie rücken zusammen und jeder kann auf die Hilfe eines Nachbarn angewiesen sein. Alle sitzen in einem Boot. Ein Krisenstab hat nicht nur humanitäre Hilfen zu bündeln, sondern durch den Stromausfall funktionieren auch Melkmaschinen nicht mehr und Ferkel verenden ohne Wärmelampe.

Kascha erzählt die Ereignisse in der Ich-Form und spricht dabei den Leser direkt mit du an. Dieser erfährt Wissenswertes über die Volksgruppen der Sinti und Roma, die sich jedes Jahr am 24. Mai in Saintes-Maries-de-la-Mer in der Camargue zu einer Wallfahrt treffen, um dort die schwarze Sara, ihre Patronin, zu ehren. Die Autorin schreibt von den Sitten, Gebräuchen und dem Glauben an ein „zweites Gesicht“, womit der Blick in die Zukunft gemeint ist. Kascha führt aus, dass ihr Volk schwarze Haare, dunkle Augen und selbst im Winter eine leicht gebräunte Haut hat.

Immer wieder erinnert sich Kascha an zurückliegende Ereignisse wie die Ablehnung auf einem Campingplatz, wo man trotz vorheriger Reservierung keine Zigeuner dulden wollte. Ihr ganzes Leben wurde sie und ihre Familie diskriminiert und selbst ihre Cousine Bettina, die Kascha nur Hünerblase nennt, behauptet sie nicht zu kennen. Der Jugendroman „Kascha Nord-Nordost“ ist gerade für Leser ab einem Alter der Protagonistin ein wichtiges Zeitzeugnis, da die Autorin deutlich macht, dass in Auschwitz nicht nur Juden, sondern auch Sinti und Roma ermordet wurden. Zudem bietet Anne C. Voorhoeve den jugendlichen Lesern in einem flüssigen Schreibstil ausreichend Spannung, die sich zum einen auf die sich zuspitzende Schneekatastrophe, zum anderen auf das gespannte Verhältnis der beiden Cousinen bezieht.

Kascha Nord-Nordost von Anne C. Voorhoeve

Kascha Nord-Nordost
Ravensburger Buchverlag 2015
Hardcover
320 Seiten
ISBN 978-3-473-40124-6

Bildquelle: Ravensburger Buchverlag
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