Mit der Sage von dem Zwergenkönig Laurin und seinem Rosengarten beginnt Heike Eva Schmidts Roman „Die gestohlene Zeit“. Der Zwergenkönig soll sich in die schöne Similde verliebt haben, als er sie bei einer Ausfahrt der adeligen Gesellschaft zum ersten Mal sah. Mit einer List war es ihm gelungen, ungesehen in das Schloss ihres Vaters zu kommen und sie in einem unbeobachteten Moment zu entführen. Doch das Heer der Recken spürte ihn auf, um Similde zu befreien. Obwohl ein Zaubergürtel Laurin die Kraft von zwölf Männern verlieh und er mit Hilfe einer Tarnkappe seinen Kontrahenten aus dem Verborgenen attackieren konnte, gelang es Dietrich von Bern den Zwergenkönig zu besiegen und in Ketten zu legen. Viele Jahre war Laurin ein Gefangener im Verlies der Burg hoch über Bern und er verfluchte seinen Rosengarten, der ihn verraten hatte. Niemand sollte die Pracht mehr sehen können, weder bei Tag, noch bei Nacht. Doch hatte Laurin bei seinem Fluch die Dämmerung vergessen und so kommt es, dass auch noch heute die blühenden Rosen bei Sonnenaufgang sowie bei Sonnenuntergang für kurze Zeit erstrahlen.
Im Sommer 1987 studiert Emilia Wiltenberg, Emma genannt, im dritten Semester für das Lehramt. Als sie ein Praktikum am Heinrich-Heine-Gymnasium macht und eine Referendarin erkrankt ist, bittet sie ihr Tutor bei einer Kursfahrt in die Dolomiten als Vertretung einzuspringen. Die erst einundzwanzigjährige Studentin kann sich nur mit Mühe unter den Zwölftklässlern behaupten. Bei einer Wanderung im Rosengarten-Massiv findet sie einen goldenen Ring, der dem sagenumwobenen Zwergenkönig Laurin gehört. Zwei Schüler beobachten sie dabei und nehmen ihr den Ring ab. Während dieser Auseinandersetzung stürzt Emma und schlägt mit dem Kopf auf einen Findling, doch die beiden Schüler lassen sie achtlos zurück. Als sie aus ihrer Bewusstlosigkeit erwacht, verschlägt es ihr den Atem, denn in einiger Entfernung sieht sie in der Abendsonne ein blutrotes Leuchten, ein Feld voller Rosen, das sie magisch anzieht.
Kurz darauf wird sie von einer Gruppe hässlicher Zwerge überwältigt, die ihr als Strafe für das Betreten von König Laurins Rosengarten die rechte Hand und den linken Fuß abhacken wollen. Stattdessen beschließen die Zwerge, sie zu ihrem König zu bringen und führen sie durch eine verborgene Felsspalte immer tiefer in den Berg hinein. Als Laurin Emma erblickt, glaubt er, seine heißgeliebte Similde wäre zurückgekehrt und er beschließt sie in drei Tagen zur Frau zu nehmen. Gemeinsam mit Jonathan, einem gutaussehenden jungen Mann, den die Zwerge ebenfalls gefangen halten, gelingt Emma schließlich die Flucht aus dem Reich des Zwergenkönigs Laurin, der die beiden jedoch mit einem grausamen Fluch belegt.
Der Roman „Die gestohlene Zeit“ von Heike Eva Schmidt ist eine gelungene und gut durchdachte Verknüpfung der Sage von dem Zwergenkönig Laurin und seinem Rosengarten mit einer Fantasiegeschichte und einer Handlung in der heutigen realen Welt. Eine interessante Perspektive entsteht durch einen Zeitsprung von 27 Jahren, wodurch einige Entwicklungen der heutigen Zeit, wie beispielsweise das Internet oder das Handy, einmal aus dem Blickwinkel der Protagonistin, die aus den achtziger Jahren kommen, betrachtet werden können. Auch, wenn den Leser keine tiefgründige Geschichte erwartet, ist der Roman sehr unterhaltsam geschrieben und mit einer kräftigen Prise Humor gewürzt. Überraschende Wendungen sorgen für anhaltende Spannung und eine sich entwickelnde Liebesgeschichte zwischen Emma und Jonathan führt zu einem absehbaren, etwas zu kitschig geratenen Happy End.
Die gestohlene Zeit von Heike Eva Schmidt
Knaur Verlag 2013
Taschenbuch
445 Seiten
ISBN 978-3-426-51311-8