Der Radfahrer von Tschernobyl von Javier Sebastián

Der Radfahrer von TschernobylPrypjat ist eine für die Arbeiter von Tschernobyl errichtete Stadt und liegt nur vier Kilometer vom Reaktor entfernt. Als am 25. April 1986 das Unglück im Atomkraftwerk seinen Lauf nahm, hatte das verheerende Folgen für die viel zu spät evakuierte Bevölkerung, unter denen viele Kinder waren. Javier Sebastián hat mit „Der Radfahrer von Tschernobyl“ den vielen Opfern und vor allem einem ganz besonderen Menschen ein Denkmal setzen wollen. Eine dem Leser nicht näher vorgestellte Person erzählt teilweise in der Ich-Form vom Leben und Wirken dieses besonderen Menschen:

Prof. Wassili Nesterenko (1934-2008) von den Bewohnern nur Wasja genannt, war ein führender Wissenschaftler und hat selbst für die Regierung einen Reaktor konstruiert. Nach dem Unglück hat man ihn zu Rate gezogen um zu verhindern, dass ganz Europa „zur Hölle fährt“. Auf Anordnung hat er das Gelände mit einem Hubschrauber überflogen und erste Maßnahmen angeordnet. Doch weil er Manipulationen in großem Umfang aufgedeckt hat, wurde ihm gedroht und es wurden sogar zwei Attentate auf ihn verübt. Freunde von ihm sind verschwunden und nie wieder aufgetaucht, weil sie Mängel kritisiert haben. Er deckte auf, dass angeblich verarbeitete Tausende Kubikmeter Zement gar nicht vorhanden waren und gestützt auf seismologische Messungen hat er die Vermutung geäußert, dass ein Erdbeben Schuld an der Katastrophe gewesen sein könnte.

Wasja hat sich selbst in die Gefahrenzone begeben und dort gelebt, um den Familien beizustehen. Er hat Pektin verteilt, um zumindest die radioaktive Kontamination zu senken. Und er hat Tipps zur Zubereitung von Lebensmitteln gegeben, die die Belastung ebenfalls mindern können. Regelmäßig durchgeführte Strahlenmessungen hat er in seinen Berichten schriftlich festgehalten. Kofi Annan hat die Menschen, die sich zumindest unter medizinischer Beobachtung befunden haben, auf neun Millionen geschätzt. Die Grenzwerte für die zulässige Strahlenbelastung sind von der Regierung willkürlich höher festgelegt worden und es sind Gesetze erlassen worden, nach denen kontaminierte Produkte nicht nach Moskau geliefert werden durften. Belastete Lebensmittel durften sogar mit unbelasteten gemischt werden. Die Westmächte haben sich im August 1986 eines Verbrechens gegen die Menschheit schuldig gemacht, indem sie Druck auf die Sowjetunion ausgeübt haben und die Menschen in der Sperrzone nicht zwangsevakuiert werden durften, sondern wie menschliche Versuchskaninchen in einem riesigen Laboratorium gehalten wurden.

Javier Sebastián hat für sein Werk peinlich genaue Recherchen mit detaillierten Quellenangaben betrieben und einige in dem Roman beschriebene real lebende Personen auch in seiner Danksagung erwähnt. „Der Radfahrer von Tschernobyl“ selbst hat zwar für seine Zivilcourage den Bremer Friedenspreis erhalten und auch noch persönlich in Empfang genommen – Auszüge aus der Laudatio hat der Autor übernommen – doch musste er sich wegen neuerlicher Drohungen wieder unsichtbar machen, bis er selbst an den Folgen der Strahlung verstarb.

Der Radfahrer von Tschernobyl von Javier Sebastián

Der Radfahrer von Tschernobyl
Verlag Klaus Wagenbach 2012
Hardcover mit Schutzumschlag
224 Seiten
ISBN 978-3-803-13242-0

Bildquelle: Verlag Klaus Wagenbach
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