Der Krieg und das Mädchen von Jürgen Seidel

Der Krieg und das MädchenEs ist der Sommer 1914 vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges: Die fast 17-jährige Mila Pigeon ist auf dem Weg zu alten Bekannten in Berlin-Köpenick. Im Zug lernt sie die selbstbewusste und aus reichem Hause stammende Sheena Gilges kennen, die von ihrer Familie zu einer Verlobung mit Ottokar Zopp gedrängt wird. Er ist der neue Besitzer einer Villa am Müggelsee, zu der die Klasse des Unterprimaners Fritz Wanlo einen Ausflug macht. Mila, die mit Fritz seit einem halben Jahr befreundet ist, will ihn dort treffen. Doch Differenzen unter den Schulkollegen führen dazu, dass der Ausflug nicht zum ersehnten Badespaß wird. Zudem macht ihnen Oberlehrer Janota im Gegensatz zu seinem Kollegen Leibhold das Leben schwer. Unter den Jugendlichen kommt es zwischen Rasmus Bloemacher, Wieland Hassel, Titus Engel und Emil Goes, den alle nur Hottentott nennen, zu immer neuen Anfeindungen, während Fritz Wanlo außerdem noch ganz andere Sorgen quälen.

Während in Sarajevo ein Attentat auf den österreichischen Thronfolger verübt wird, geschieht in der Villa am See ein Unglück, in das Mila verstrickt ist. Wegen ihres französischen Nachnamens sieht sie sich einem immer weiter um sich greifenden Hass ausgesetzt. Sie, die einen Künstlerkreis gegründet hat und der die Freiheit über alles geht, gerät nun in einen Sog von Intrigen, deren Drahtzieher Ottokar Zopp ist. Ihr Leben hat sich in wenigen Tagen von Grund auf gewandelt, denn ihre Mutter wird inhaftiert. Für Mila hat ein Krieg längst begonnen und Hilfe bekommt sie ausgerechnet von einer Seite, von der sie es am wenigsten erwartet hätte.

Jürgen Seidel zeichnet in dem Jugendroman „Der Krieg und das Mädchen“ sehr realistisch die letzten Wochen vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges nach, als das Automobil erst die Straßen erobern musste und der drahtlose Nachrichtenaustausch von Berlin nach New York noch einer Sensation gleichkam. Der Autor zieht den Leser mit seiner Erzählkunst so in den Bann, dass dieser das Gefühl hat, er wäre Zuschauer der Szenen. Außerdem kann er sich mit den authentischen Charakteren leicht identifizieren. Fast beklemmend wirkt die Angst der Schüler vor einem drohenden Krieg, wenn sie aus dem Roman von Emile Zola „Der Zusammenbruch“ von den Kriegsgräueln um Verdun im Deutsch-Französischen Krieg lesen. Im Gegensatz dazu wollen sie heldenhaft dem Vaterland dienen. Doch erst im Schützengraben wissen sie die Nähe ihres Feindes aus Schultagen zu schätzen.

In „Der Krieg und das Mädchen“ geht es um erste Liebschaften in einer Zeit, als sich Jungen und Mädchen einen ersten Kuss noch mit viel Fantasie ausmalten sowie um skrupellose Börsenspekulanten und Geschäftemacher, denen es um Intrigen, Rache und Macht geht. Die von Jürgen Seidel im Roman erwähnte Gabriele Possanner war tatsächlich die erste promovierte Ärztin Österreichs. Es stimmt auch, dass der Audi Typ C den Beinamen „Alpensieger“ hatte, die Brennabor-Werke haben Automobile in Serie produziert und die Zigarettenfabrik Problem brachte die Marke Moslem auf den Markt. Das vom Verlag ab zwölf Jahren empfohlene Buch wird wahrscheinlich erst für Jugendliche ab vierzehn Jahren interessant sein. Es ist nachvollziehbar und sogar unerlässlich, dass sich der Autor dem damals üblichen Sprachgebrauch anpasst. Nichts desto trotz hätte man einige Begriffe wie Impertinenz, Relegation, Pedell, Contenance oder kolportieren für die jungen Leser erklären können. An der Einschätzung, dass es sich um ein beachtliches und auch für Erwachsene lesenswertes Werk handelt, ändert das natürlich nichts.

Der Krieg und das Mädchen von Jürgen Seidel

Der Krieg und das Mädchen
cbj Verlag 2014
Hardcover mit Schutzumschlag
474 Seiten
ISBN 978-3-570-15763-3

Bildquelle: cbj Verlag
PGltZyBsb2FkaW5nPSJlYWdlciIgc3JjPSJodHRwczovL3NzbC12ZzAzLm1ldC52Z3dvcnQuZGUvbmEvYWU5NjhhNGE4MDQwNDc4NDkwMmQzZjJmOWI5MTZkZWQiIHdpZHRoPSIxIiBoZWlnaHQ9IjEiIGFsdD0iIj4=

Teile diesen Beitrag