Der Geruch von Ruß und Rosen von Julya Rabinowich

Der Geruch von Ruß und RosenMadina, die mit ihrer Mutter, Großmutter, Tante Amina und ihrem Bruder Rami zusammenlebt, vermisst ihren Vater Eli, den wie sein Bruder Miro ein unbestimmtes Schicksal ereilte. Sie erinnert sich, dass sie ihm assistierte, während er heimlich im Keller auf dem Küchentisch operiert hat, bevor die Familie eines nachts nur mit Rucksäcken ausgerüstet überstürzt zur Flucht aufbrechen musste. Damals, als sie ihr wochenlanger Weg zu Fuß „durch Wälder, Schluchten, Bäche“, ohne Socken und mit Blasen an den Füßen führte. Die Großmutter verlor alles, ihr Haus, den Garten, ihre Hühner und jetzt auch noch die Söhne Eli und Miro. Bevor Madina an der Seite ihrer neuen Freundin Laura ein glückliches Leben führen und mit ihr eine Reise nach Italien machen konnte, kam sie in einer Flüchtlingsunterkunft unter.

Im Café bei Johann trifft Madina auf Becca, die neue Kellnerin, die ebenfalls ihre Sprache spricht, allerdings sehr abweisend reagiert. Wiederholt versucht sie, Kontakt zu der Landsmännin aufzunehmen. Tante Amina, die von Madinas Familie als „liederliches Weibsbild“ angesehen wird und der etwas Schreckliches passiert sein muss, über das jedoch niemand reden will, vertraut sich eines Tages ihrer Nichte an. Sie will eine Goldkette, die sie auf der Flucht retten konnte, verkaufen und mit dem Geld die Reise in ihr Heimatdorf finanzieren, um das Grab ihres Mannes besuchen zu können. Madina soll mit ihr kommen und ihren Vater suchen. Obwohl ihr Markus, der Bruder von Laura, von der gefährlichen Reise abrät, verschafft sich die noch nicht Volljährige heimlich ihren und den Pass ihres Vaters und weiht lediglich Laura in ihre Pläne ein.

Während der Fahrt denkt Madina über ihren Vater nach, der ihr vieles verboten hat. So durfte sie keine Jeans tragen, auf keine Party gehen, keine kurzen Kleider tragen und schon gar nicht Jungen treffen. Im Dorf angekommen, erfährt sie immerhin von Luana, die sie von früher kennt, wer ihr etwas über den Verbleib des Vaters verraten könnte. Tatsächlich hilft ihr Edris weiter, der sein Leben einer Operation ihres Vaters verdankt. Doch dann verschwindet plötzlich Tante Amina und Madina bekommt Angst.

Vieles deutet Julya Rabinowich in ihrem Roman „Der Geruch von Ruß und Rosen“ nur an. So erfahren die Freundinnen Madina und Laura während ihrer Italienreise aus einer Zeitung, dass der Krieg beendet ist. Nur in welchem Land der Krieg stattgefunden hat, wo ja auch das Heimatdorf der Protagonistin liegt, erfährt der Leser nicht. Er weiß aber, dass in der neuen Heimat der Familie Deutsch gesprochen wird und die Handlung im Zeitalter von Handys angesiedelt ist. Ob es sich um das aktuelle Geschehen oder zurückliegende Ereignisse handelt, erkennt er an der gewählten Zeitform, in der Madina entweder im Präsens oder Präteritum in der Ich-Form erzählt.

Aus dem Plot wird ersichtlich, dass in dem Heimatdorf Schreckliches geschehen ist und Eli sich für seine Familie geopfert hat. Madina ahnt, dass auch andere Menschen unter ihrer Flucht zu leiden hatten, als sie den Mann wiedererkennt, dem die Großmutter ihre Hühner anvertraut hat und der sich nunmehr aufgrund einer schweren Kopfverletzung an nichts mehr erinnern kann. An einer Stelle äußert Madina, dass sich ihr Vater bis zum Schluss nicht vorstellen konnte, dass tatsächlich Truppen heranrücken würden, was an den Glauben unzähliger Juden in Deutschland erinnert, die sich das Szenario eines Holocaust auch niemals hätten vorstellen können.

Julya Rabinowich hat in ihrem Roman „Der Geruch von Ruß und Rosen“ mit widersprüchlichen Aussagen die innere Zerrissenheit ihrer Protagonistin deutlich gemacht, wenn diese beispielsweise sagt: „Ich will jetzt alles und ich will nichts wissen.“ Madina findet im Handlungsverlauf immer mehr zu sich selbst, wird sich über die Veränderungen in ihrem Leben klar, in das sie Struktur bringen will. Sie wird sich auch dessen bewusst, dass sie ihre eigenen Ziele verfolgen und dafür kämpfen muss, wobei das nicht geht, ohne jemandem weh zu tun, den sie gernhat. Die Autorin hat sich für ihren sehr beachtenswerten und einfühlsamen Roman von zahlreichen Gesprächen, die sie mit „Kriegsvertriebenen, Folteropfern und ihren Angehörigen“ geführt hat, inspirieren lassen und war auf besondere Weise von dem Schicksal berührt, von dem ihr viele Frauen berichtet haben und das sie im Roman mit der Figur der Amina verarbeitet hat. Kaum jemand wird dieses Buch schnell aus seinem Gedächtnis streichen können!

Der Geruch von Ruß und Rosen von Julya Rabinowich

Der Geruch von Ruß und Rosen
Carl Hanser Verlag 2023
Klappenbroschur
240 Seiten
ISBN 978-3-446-27713-7

Bildquelle: Carl Hanser Verlag
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