Ein wahrer Kriminalfall!
Nach der Verleihung der Stadtrechte wurde Darmstadt im Jahr 1330 für die Landgrafen und Großherzöge die Residenzstadt von Hessen und war hessische Hauptstadt bis zum Jahr 1945. Ella Theiss hat in ihrem Kriminalroman Das Darmstädter Mörderliebchen* einen wahren Fall nachgezeichnet, bei dem Gräfin Emilie von Görlitz bei einem Brand ums Leben kam. Während der Löscharbeiten begegnet der Jurastudent Alexander Büchner einem Mann, der sich Paul Mink nennt und den er von früher zu kennen glaubt, was dieser jedoch bestreitet. Vom Geheimdienst dazu gezwungen, als Lockspitzel zu dienen, tritt er als Peter Ennig und mit langem Haar sowie einem Vollbart maskiert auf.
Vor den Flammen stehend bangt die Magd Christina Born um das Leben ihres Verlobten Johann Stauf, der als Kammerdiener im Hause von Görlitz arbeitet und noch im Haus sein könnte. Durch eine Unachtsamkeit zieht sie sich eine Verletzung des Knöchels zu und wird liebevoll von dem Medizinstudenten Ludwig Büchner, Alexanders Bruder, sowie den Schwestern Luise und Mathilde versorgt. Ihr größter Wunsch ist es, mit ihrer kleinen Tochter Dorothee und deren Vater Johann nach Amerika auszuwandern, sobald die Ersparnisse reichen.
Als angehender Jurist fallen Alexander schon früh einige Ungereimtheiten auf und er tippt auf Mord. Doch der Untersuchungsbericht lautet auf Selbstverbrennung, womit allerdings nicht ein Suizid gemeint ist, sondern eine durch „widrige Säfte“ des Leibes verursachte Selbstentzündung. Daheim diskutieren der Jura- und der Medizinstudent mit ihrem Vater Dr. Ernst Büscher, denn auch der zweifelt das Urteil des Medizinalrats Dr. Graff an. Unverständlich auch, dass der Graf einer Obduktion nicht zustimmt.
Paul Mink, der unterdessen sowohl den Arzt Heinrich Hoffmann als auch den Revolutionär Friedrich Hecker in die Fänge des Geheimdienstes locken soll, wird von dessen Schergen dafür hart bestraft, als die beiden entkommen können. Während Johann wegen erlogener Behauptungen festgenommen wird, hofft Christina noch auf Hilfe des Grafen. Doch ist sie selbst längst wegen des unehelichen Kindes als Das Darmstädter Mörderliebchen* in Verruf geraten, verliert ihre Anstellung als Magd und traut sich kaum noch aus dem Haus. Als im Herzogtum Hessen im Jahr 1848 die Revolution ausbricht, bedeutet das für Großherzog Ludwig III und Ministerpräsident Karl du Thiel das Ende.
Ella Theiss, das Pseudonym von Elke Achtner-Theiss, gibt mit ihrem aufs Beste recherchierten Kriminalroman quasi eine Geschichtsstunde der letzten Monate vor Verkündung der Republik, die für viele Zeitgenossen eine Wende zum Besseren bringen sollte. Mit eingestreuten Auszügen aus Vorträgen oder Gutachten, besonders aber mit Auszügen aus den Vernehmungsprotokollen zum Prozess sowie der Rede des Staatsanwalts wagt sie einen Einblick in die damaligen Ermittlungen, die kaum das Wort Objektivität verdienen.
Während die Autorin sich weitgehend an die Fakten gehalten hat, wovon allein schon das Verzeichnis der in Anspruch genommenen Recherchequellen zeugt, hat sie sich aber auch die Freiheit genommen, die fiktive Person des als Paul Mink aufgetauchten Peter Ennig in den Plot einzubauen. Die ihm seitens seiner Schergen zugedachten und beschriebenen Misshandlungen sind zarten Gemütern wenig zuträglich. Ella Theiss hat die Armut der damaligen Bevölkerung mit ihrem Wunsch, nach Amerika auszuwandern, aufgegriffen und auch das traurige Schicksal des Theologen Dr. Friedrich Ludwig Weidig thematisiert. Der vom Geheimdienst observierte Heinrich Hoffmann ist der bekannte Verfasser des Kinderbuches Der Struwwelpeter*. Die erwähnte Weißblutkrankheit hätte vielleicht erklärt werden können, ändert aber nichts an der spannenden und prima umgesetzten Geschichte dieses wahren Kriminalfalls.
Das Darmstädter Mörderliebchen von Ella Theiss
Gmeiner Verlag 2024
Taschenbuch
320 Seiten
ISBN 978-3-8392-0567-9