Beate Uhse – Ein Leben gegen Tabus von Katrin Rönicke

Beate Uhse - Ein Leben gegen TabusAus heutiger Sicht ist es kaum zu glauben, dass noch im Jahr 1969 ein Gutachter vor Gericht ausgesagt hat: „Der Orgasmus der Frau ist als natürlich anzusehen“. In der Biografie „Beate Uhse – Ein Leben gegen Tabus“ zeichnet Katrin Rönicke den Lebensweg der im Jahr 1919 als Beate Köstlin geborenen Pionierin in Sachen enttabuisiertem Sex nach. Als Tochter gebildeter Eltern besucht sie bis zur Schließung durch die Nationalsozialisten eine Schule auf Juist. Die sportbegeisterte junge Frau wird Fähnleinführerin beim Bund Deutscher Mädel und erwirbt mit achtzehn Jahren den ersehnten Flugschein. Nach der Ablegung einer Kunstflugprüfung lernt sie ihren ersten Mann Hans-Jürgen Uhse kennen, einen Kunstfluglehrer. Die Autorin schreibt von den ersten Jahren dieser vom Krieg überschatteten Beziehung, der überstürzten Heirat, dass Beate Uhse frühzeitig Witwe wurde und alleine einen Sohn durchbringen musste.

Beate Uhse wusste um die Sorgen ungewollter Schwangerschaften vieler Frauen, deren Männer aus der Kriegsgefangenschaft heimkehrten. Illegale Abtreibungen haben Zehntausende das Leben gekostet, und als Tochter einer Ärztin hatte sie Kenntnis von der Knaus-Ogino-Methode zur Geburtenregelung, die sie in ihrer „Schrift X“ propagierte. Die gestiegene Nachfrage nach Kondomen hat sie zu befriedigen gewusst, hat gerichtliche Verfahren und über sie verhängte Urteile hinnehmen müssen.

Katrin Rönicke schreibt von der beginnenden „sexuellen Revolution“, die mit dem Report von Alfred Kinsey ihren Anfang nahm, der Generation der Babyboomer, dem Pillenknick und davon, dass Beate Uhse sowohl von den in Zeitschriften, wie auch von der Filmindustrie aufgegriffenen Freizügigkeit profitierte, deren bekannteste Vertreter Ingmar Bergmann und Oswald Kolle waren. Ein zweiter Sohn wird geboren, Beate Uhse heiratet Ernst-Walter Rotermund, und aus einem kleinen Familienbetrieb wird ein „millionenschweres Seximperium“. Die Autorin gewährt Einblicke in das Familienleben, die ungewohnte Ernährungsweise, und spart auch das Drama der folgenden Scheidung nicht aus.

Beate Uhse beginnt eine Affäre mit einem bedeutend jüngeren Mann, einem Farbigen. Die „sexuelle Revolution“, Ausdruck sexueller Befreiung ohne Tabus, wird von einer Welle der Pornografie überrollt, die durch die Entwicklung der Videokassettenrekorder unterstützt und durch Sexshops und -kinos repräsentiert wurde. Längst sind die Söhne in das Unternehmen eingestiegen, es kommt zu einer Firmenteilung, und Beate Uhse muss den Tod ihres ersten Sohnes verschmerzen. Noch mit siebzig Jahren kann sie sich ein Leben ohne Arbeit nicht vorstellen, obwohl sie genügend Hobbys hat und viel verreist. Als die Mauer zur ehemaligen DDR fällt, nutzt sie die Gunst der Stunde, denn sie sieht potentielle Neukunden. Selbst im hohen Alter hat sie noch die Nase vorn und sichert sich eine beträchtliche Zahl an Domains.

Katrin Rönicke hat in der Biografie „Beate Uhse – Ein Leben gegen Tabus“ die Beteiligung von Beate Uhse an Filmen während der NS-Zeit einer kritischen Betrachtungsweise unterzogen und festgestellt, dass diese in ihren Autobiografien von 1989 und 2001 vieles unerwähnt ließ oder nur kurz anriss. Deutlich formuliert sie den Vorwurf, dass in einem PR-Buch der Firma Beate Uhse im Grunde genommen eine Gruppenvergewaltigung verharmlost wird, in dem Buch aber nur von einem Besuch in einem Swinger-Club die Rede ist.

In der Biografie, in der auch Fotos von Beate Uhse zu finden sind, kommen ihre Schwägerin und ein Sohn zu Wort. Weiterhin greift die Autorin auf kenntlich gemachte Zitate der Autobiografien zurück, die, so sehr sie auch subjektiv gefärbt sind, aber in vielen Punkten doch die einzige Quelle sind, da in den in Zeitschriften archivierten Artikeln lediglich daraus zitiert wurde. Insofern ist vieles gar nicht mehr eindeutig zu klären. Beate Uhse hat nach eigenen Worten nicht aus Profitgier gehandelt, sondern wurde stets immer vom Idealismus getrieben. Im Jahr 2017 geht der Erotik-Konzern in die Insolvenz. Katrin Rönicke endet in ihrer spannenden und informativen Biografie mit der Rede zur Beerdigung der im Jahr 2001 verstorbenen Beate Uhse, die eine der erfolgreichsten Frauen der Nachkriegsgeschichte war.

Beate Uhse – Ein Leben gegen Tabus von Katrin Rönicke

Beate Uhse - Ein Leben gegen Tabus
Residenz Verlag 2019
Hardcover mit Schutzumschlag
208 Seiten
ISBN 978-3-7017-3466-5

Bildquelle: Residenz Verlag
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