Ich war noch niemals in New York von Heidrun Böhm

Ich war noch niemals in New YorkHeidrun Böhm setzt in ihrer Autobiografie bei dem von Schicksalsschlägen gezeichneten Lebensweg ihrer Mutter an, die nach der Geburt von zwei Kindern von ihrem Ehemann vergewaltigt wird und daraufhin ein behindertes Kind zur Welt bringt. Als der Ehemann nach der Scheidung in einem Gefängnis einsitzt, zwingt das die Mutter zur Arbeitsaufnahme. Sie lernt einen Mann kennen, wird erneut schwanger. Doch der werdende Vater verunglückt tödlich, so dass das Baby bis zum vierten Lebensjahr in einem Heim aufwachsen muss. Die behindert geborene Schwester wird mit sechs Jahren in einem Heim aufgenommen.

Mit neunzehn Jahren heiratet die im Jahr 1953 geborene Heidrun Böhm. Da ihr Ehemann Thomas kaum zu Hause ist und wenn, dann nur vor dem Fernseher sitzt, fühlt sie sich verlassen und beginnt eine kurze Affäre. Doch auch nach der Geburt einer Tochter und eines Sohnes können die sie nicht über ihre Einsamkeit hinwegtrösten. Als im Radio das Lied von Udo Jürgens „Ich war noch niemals in New York“ erklingt, singt sie mit. Immer häufiger flüchtet sie sich in den Alkohol und hat Suizidgedanken. Sie vertraut sich einer Nachbarin an und denkt mit dreißig Jahren zum ersten Mal an eine Trennung. Nachdem sie Thomas mit einer Geliebten erwischt, reicht sie die Scheidung endgültig ein. Doch wegen vorhandener Schulden muss Thomas lediglich für die eine zweite Klasse besuchende Tochter und den Sohn, der noch im Kindergarten ist, Unterhalt zahlen. Dieser Verpflichtung kommt er nur unregelmäßig nach.

Da Heidrun Böhm keine Ausbildung hat, nimmt sie eine Putzstelle an. Sie schließt sich einer Autorengruppe ihres Bruders und ihrer Mutter an und schreibt Kurzgeschichten für Schreibwettbewerbe. Im Jahr 1986 gewinnt sie den ersten Preis bei einem Literaturwettbewerb der Stadt Reutlingen. Unglückliche Beziehungen lassen sie einen Psychologen aufsuchen. Heidrun Böhm nimmt eine Arbeit im Altenheim an und absolviert nebenbei eine Ausbildung zur Altenpflegehelferin. Einen weiteren Schicksalsschlag muss sie bezüglich ihres Bruders hinnehmen. Endlich findet sie in Karl-Heinz einen zuverlässigen Partner, mit dem sie eine glückliche Ehe führt, und auch ihre beiden Kinder weiß sie gut versorgt.

Heidrun Böhm beginnt ihre Autobiografie „Ich war noch niemals in New York“ mit dem Leben und Tod ihrer Mutter, wobei sie allerdings übergangslos und völlig aus dem Zusammenhang gerissen von ihrem Sohn und dem späteren Ehemann Karl-Heinz erzählt, um dann wieder bei der Mutter anzuknüpfen. Doch dieses verwirrende „Hin- und Herspringen“ von ihrer eigenen Kindheit zum späteren Leben als Erwachsene hat ein Ende, als die Autorin endlich den roten Faden findet und ihren Lebensweg in einigermaßen chronologischer Reihenfolge nachzeichnet. Die Ausführungen beziehen sich jedoch nicht, wie der Klappentext verspricht, auf ihr Leben als Alleinerziehende, sondern auch auf die Schicksalsschläge ihrer Verwandten und weiterer Bekanntschaften, die sie im Laufe der Jahre macht. Dabei quält sich der Leser gelangweilt durch uninteressante Ausschmückungen.

Heidrun Böhm schreibt ausführlich von haarsträubenden Erfahrungen, die sie in einem Pflegedienst gemacht hat, zitiert Briefe und ein Protokoll ihres Arbeitsalltags im Altenheim, was jedoch wenig mit den Problemen zu tun hat, mit denen alleinerziehende Mütter oder Väter konfrontiert sind. Einige Patzer wie Tempuswechsel oder unvollständige Sätze können als Flüchtigkeitsfehler entschuldigt werden. Aber glaubt die Autorin tatsächlich, dass bei einer im Rausch begangenen Vergewaltigung „folglich ein behindertes Kind“ gezeugt wird? Zu denken gibt auch ihre Aussage, dass Kinder von alleinerziehenden Müttern durchaus schon zu Alkoholikern oder Hartz IV Empfängern geworden sind, wie sie gehört haben will. Denn dazu können auch Kinder werden, die in einer intakten Familie aufgewachsen sind.

Die Autorin hat ohne Zweifel ein Talent zum Schreiben, denn sie überzeugt mit einem flüssigen Schreibstil und abwechslungsreichen Ausdrücken. Allerdings ist ihr mit der vorliegenden Autobiografie nicht gelungen, ihr Können unter Beweis zu stellen, da die langatmigen Ausführungen schon frühzeitig das Interesse am Weiterlesen verhindern, zumal sich in den vorgestellten Milieus Alkoholexzesse, Schläge und Gefängnisstrafen wiederholen. Einem Lektor wäre darüber hinaus aufgefallen, dass Heidrun Böhm ihrem Mann Thomas das Buch „Frauen, die lesen, sind gefährlich“ von Stefan Bollmann nicht gezeigt haben kann, als ihre Kinder noch klein waren, da es erst zu einem späteren Zeitpunkt erschienen ist.

Ich war noch niemals in New York von Heidrun Böhm

Ich war noch niemals in New York
Seemann Publishing 2017
Broschur
344 Seiten
ISBN 978-1-979-74953-4

Bildquelle: Seemann Publishing
PGltZyBsb2FkaW5nPSJlYWdlciIgc3JjPSJodHRwczovL3ZnMDQubWV0LnZnd29ydC5kZS9uYS85ZDllYzc1YjAyOGI0NWUxYWNlMmU4NTdkZmM3NzZmNCIgd2lkdGg9IjEiIGhlaWdodD0iMSIgYWx0PSIiPg==

Teile diesen Beitrag