Das Gänsespiel von Anne-Ruth Wertheim

Meine Kinderjahre im Internierungslager auf Java!

Anne-Ruth Wertheim kam im Jahr 1934 als Kind niederländischer Eltern in der niederländischen Kolonie Jakarta zur Welt. Im Jahr 1942 erklärten die Japaner den Niederländern den Krieg, die Bevölkerung wurde in Internierungslager gesperrt. So erging es auch der Autorin Anne-Ruth Wertheim mit ihren Eltern und den Geschwistern Marijke und Hugo. Der Mutter gelang es, Papier und Stifte ins Lager zu schmuggeln, so dass die Kinder alle Ereignisse zeichnerisch festhalten konnten. Seit ihrer Freilassung, so schreibt Anne-Ruth Wertheim in ihrem Vorwort, haben die Aufzeichnungen, die ihr als Erinnerung für das Kinderbuch „Das Gänsespiel“ gedient haben, im Koffer auf einem Kleiderschrank gelegen:

Die Familie bewohnte ein schönes Haus in Java, unweit eines Ententeichs. Weil die Gänse den Enten das Brot wegschnappten, haben sie die Gänse verscheucht. „Das Gänsespiel“ haben sie später im Lager auf einer von der Mutter notdürftig errichteten Vorlage gespielt. Während der über zwei Jahre dauernden Internierung träumte das Mädchen von einer Befreiung und wusste schon gar nicht mehr, wie der Vater aussah, der in einem eigens für Männer errichteten Lager untergebracht war. Das dürftige Essen bestand nur aus etwas Reis und einer „wässrigen Brühe“, morgens und abends gab es nur eine trockene Scheibe Brot für jeden, was viele Kranke und Tote zur Folge hatte. Trotzdem mussten alle zweimal täglich zum Appell antreten und den Japanern Ehre erweisen!

Am 4. September 1944 hieß es plötzlich, dass alle Juden ausgesondert werden. Im Gegensatz zum Vater war Anne-Ruths Mutter keine Jüdin. Da sie sich nicht mit ihm absprechen konnte oder wusste, was er angab, hat sie sich als Jüdin ausgegeben, um nicht von ihren Kindern getrennt zu werden. Die Autorin hat schreckliche Erinnerungen an die Latrinen, die in Ermangelung von Schuhen barfuß aufgesucht werden mussten. Duschen konnte man nur, wenn es Wasser gab und Unterricht wurde allenfalls von den Erwachsenen heimlich, an der Lagerleitung vorbei organisiert. Obwohl sie noch ein Kind war, wurde sie wie ihre Schwester in einer Arbeitskolonne eingeteilt.

Das Buch endet mit Ausführungen zum verbotenen Handel, der stets die Bestrafung des gesamten Lagers nach sich zog: Da die indonesischen Wachen bessere Essensrationen erhielten, haben sie Lebensmittel gegen Kleidung der Niederländer angeboten, mit denen sie bei einer Flucht weniger auffielen. Die kleine Anne-Ruth musste wie alle anderen, nachdem geflohene Wächter von den Japanern geschnappt wurden, „sieben Stunden lang unter der tropischen Sonne ohne Essen und Trinken stillstehen“. Als auch das nicht half, wurde so lange auf die Flüchtenden eingeschlagen, bis einer auf die Frau zeigte, die daraufhin abgeführt wurde und für immer verschwand.

Das bewegende Kinderbuch „Das Gänsespiel“ empfiehlt der Verlag ab einem Alter von neun Jahren und nur, weil es mit der dargestellten, recht grausamen Bestrafung endet, sollte es nicht noch jüngeren Kindern zugemutet werden. Dass die jungen Leser bei derartiger Lektüre immer eine erwachsene Ansprechperson an ihrer Seite haben sollten, versteht sich von selbst. Im Nachwort ihres für die Geschichtsbildung wichtigen Buches schreibt Anne-Ruth Wertheim noch weitere Details zu ihrer Familie wie auch historische Begebenheiten, wobei sie nicht erwähnt, dass der heutige Reichtum der Niederländer der brutalen Ausbeutung ihrer Kolonien geschuldet ist.

Über das gesamte Werk verstreut finden sich sowohl Familienfotos und natürlich die farbigen Zeichnungen der drei Geschwisterkinder. Bis heute ist die Autorin, die später Biologie studiert und als Lehrerin gearbeitet hat, ihrem selbst gegebenen Versprechen beim Anblick des blauen Himmels treu geblieben, nämlich dass sie sich für gefangen gehaltene Menschen auf der Welt einsetzen will, sofern sie eines Tages groß und frei sein wird.