Interview mit dem Autorenehepaar Kästner über ihre neue Krimi-Reihe „Tatort Hafen“

Autorenehepaar Kästner
Foto © Kerstin Petermann
Das Autorenehepaar Dr. Angélique Kästner-Mundt und Andreas Kästner hat mit der neuen Krimi-Reihe „Tatort Hafen“ auf bemerkenswerte Art und Weise eine Lücke auf dem Buchmarkt gefüllt, in der der Hauptkommissar der Wasserschutzpolizei Tom Bendixen und die Erste Hauptkommissarin Jonna Jacobi ein Team bilden. Angélique wurde 1966 in Hamburg geboren und ist (seit dem Jahr 2005) als promovierte Psychotherapeutin in eigener Praxis tätig. Während ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit im Kriseninterventionsteam beim DRK lernte sie ihren heutigen Ehemann Hauptkommissar Andreas kennen, der 1963 in Wismar geboren wurde. Aufgewachsen in Rostock fuhr er zur See und lebt seit seiner Ausbürgerung in Hamburg, wo er bis zum Jahr 2023 bei der Wasserschutzpolizei im Hamburger Hafen gearbeitet hat. Da seine Ehefrau schon seit 2012 Romane und Krimis verfasst hat, lag eine Zusammenarbeit der Beiden in Form einer Hafenkrimiserie nahe.

Ich begrüße heute das Ehepaar Kästner aufs Herzlichste! Wann ist der Entschluss gefasst worden, dass Sie gemeinsam Bücher veröffentlichen wollten? Herr Kästner, liege ich mit meiner Vermutung richtig, dass es mit der Beendigung Ihrer Arbeit als Wasserschutzpolizist zu tun hat und Sie quasi ein neues Betätigungsfeld gesucht haben?

    Eigentlich wollte ich in meiner Pension in Ruhe in meinem Schlauchboot sitzen und Fischen. Nun ist es doch anders gekommen. Während meiner aktiven Dienstzeit habe ich mich sehr gesträubt, mich auch in der Freizeit mit Kriminalfällen zu befassen. Doch es stimmt, je näher meine Pensionierung rückte, um so eher habe ich mich mit dem Gedanken anfreunden können und habe jetzt der Drängelei meiner Frau nachgegeben und mittlerweile große Freude daran, meine Einsätze, Erlebnisse und Kenntnisse in die Serie einfließen zu lassen.

Sie haben der Drängelei Ihrer Frau nachgegeben (schmunzeln)? Das kenne ich irgendwo her. Muss uns Frauen im Blut liegen…
Wie reift so eine Geschichte, wenn zwei Autoren daran beteiligt sind? Wer entwirft ein erstes „Gerüst“, das im Anschluss mit detaillierten Ideen ausgeschmückt werden muss?

    Das machen wir gemeinsam. Das ist wie Ping-Pong. Wir werfen uns Ideen zu, verwerfen sie wieder, prüfen sie, arbeiten andere klarer heraus und nach und nach entsteht eine Geschichte. Das ist durchaus ein monatelanger Prozess und im Schreibprozess kommt dann die Feinjustierung.

Tom ist in Ihrem ersten gemeinsamen Kriminalroman „Tatort Hafen – Tod an den Landungsbrücken“ Dienstgruppenleiter am Wasserschutzpolizei-kommissariat 2. Schon sein Vater war im Hafen als Festmacher tätig. Herr Kästner, wie sind Sie dazu gekommen, sich für die verantwortungsvolle und sicher auch abwechslungsreiche Tätigkeit bei der Wasserschutzpolizei zu begeistern? War auch der Vater Ihr Vorbild?

    Das hat mit einer Biografie in der DDR zu tun. Ich bin zunächst Seemann geworden – wie mein Vater. Aber ich war politisch zu aufmüpfig und die Stasi hat mir in den 80er Jahren mein Seefahrtsbuch entzogen. Ich war arbeitslos in einem Staat, in dem es angeblich keine Arbeitslosigkeit gab. Nachdem ich Mitte 1989 ausgebürgert wurde, habe ich es erneut mit der Seefahrt versucht, aber spürte, dass ich ein enormes Sicherheitsbedürfnis nach den Jahren der Stasi-Verfolgung hatte. Durch Zufall bin ich auf die Wasserschutzpolizei aufmerksam geworden und die versprach eine Arbeit auf dem Wasser und berufliche Sicherheit. Ich habe unter den Kollegen Freunde fürs Leben gefunden und den Schritt nie bereut. Es war eine tolle Arbeit im Hafen.

Herr Kästner, um bei Ihnen zu bleiben: Hatten Sie während Ihrer Tätigkeit auch manchmal ein schlechtes Gewissen gegenüber Ihrer Ehefrau wie der Protagonist im Roman gegenüber seiner Ehefrau Lisa?

Die Ehefrau lacht.

    Nein, ein schlechtes Gewissen brauchte ich nie haben, da meine Frau die Begeisterung für meine Arbeit geteilt hat. Sie hat mich immer ausgefragt, was ich erlebt habe.

Tja, Lisa hätte vielleicht auch mal ihren Mann Tom fragen sollen, was er so auf der Arbeit erlebt hat, aber vermutlich ist das bei vielen Paaren so, dass sich keiner für das interessiert, was der andere den ganzen Tag tut.
Im Roman ist von einer „Angiografie der Blutgefäße“, einem diagnostischen Bildgebungsverfahren mittels Röntgenstrahlen die Rede. Ein zwar in der Medizin üblicher Terminus, den Autoren aber nicht unbedingt kennen müssen. Können Sie sich in dem Bereich auf Personen stützen, die Ihnen dahingehend Tipps geben und beraten?

Angélique Kästner:

    Ich habe am Anfang meiner beruflichen Tätigkeit zehn Jahre im Universitäts-Krankenhaus Hamburg gearbeitet. Da habe ich noch Kontakte, die mir mit Rat und Tat zur Seite stehen. Durch meine 12jährige Tätigkeit in der Krisenintervention habe ich leider sehr oft das Institut für Rechtsmedizin aufsuchen müssen, um mit den Angehörigen Abschied von den Toten zu nehmen. Dort habe ich ebenfalls noch hilfreiche Unterstützung in Fachfragen.

Ich kann mich an eine Stelle im Roman erinnern, da zogen sich die Mitarbeiter der Spurensicherung und die Hauptkommissarin Jonna weiße „Tyvek-Schutzoveralls“ über. Diese Schutzanzüge werden wohl in der chemischen, wie auch der pharmazeutischen Industrie benötigt. Ehrlich gesagt, habe ich davon noch in keinem Krimi gelesen und ich behaupte mal von mir, schon sehr viele gelesen zu haben. Haben Sie auch zu solchen Themen jemand, der Ihnen bereitwillig Rede und Antwort steht?

    Auch hier haben wir Glück: Ein Teil unseres Freundeskreises besteht aus Polizisten jeder Fachrichtung und durch die Arbeit im KIT bin ich mit ehemaligen Mordermittlern befreundet, die unsere Bücher korrekturlesen und alle Fragen mit uns klären.

An anderer Stelle ist im Plot von einer Not-Abschiednahme die Rede. Frage an Sie Frau Kästner: Haben Sie in dem Punkt vielleicht von Ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit beim Kriseninterventionsteam (KIT) profitieren können, bei der Sie, ich zitiere aus Ihrer Webseite, „Erste Hilfe für die Seele für Menschen nach traumatisierenden Ereignissen“ geleistet haben?

    Ja, unbedingt. Hier kommen verschiedene Ebenen zusammen: Fachliche Kontakte in alle Bereiche, die mit Tod oder katastrophalen Ereignissen zu tun haben. Das sind ja nicht nur Polizei, Feuerwehr oder der Rettungsdienst. Es sind auch Bestatter oder spezialisierte Beratungsstellen, wie der WEISSE RING, die Opferhilfe oder Verwaiste Eltern, um nur ein paar zu nennen. Als Psychotherapeutin kenne ich mich im Hamburger Versorgungssystem bestens aus. Not-Abschiednahmen habe ich selber in hoher Anzahl durchgeführt und viele Erfahrungen gemacht. Eine unendlich traurige, aber zutiefst bereichernde Aufgabe.

Ich denke aber auch, dass das ganz schön an die Substanz gehen kann und man muss sehr stark und gefestigt sein, um dem auf Dauer gewachsen zu sein. Meine Hochachtung!
Frau Kästner, haben Sie aus dieser Zeit auch das Wissen über die Beschlagnahme eines Toten durch die Staatsanwaltschaft, die ungeachtet des verständlichen Wunsches, sich von seinem geliebten Ehepartner verabschieden zu wollen, dieses rigoros durch eine Beschlagnahme verhindert?

    Im Falle von ungeklärten oder gewaltsamen Todesfällen wird der Leichnam zur Beweissicherung von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt. Das dient nicht nur der Sicherheit der Justiz, sondern auch den Angehörigen. Die sollen durch Ermittlung der Todesursache und Spurensicherung als Täter ausgeschlossen werden. Dazu dürfen Sie dem Verstorbenen zunächst nicht mehr nahekommen, um jegliche Manipulation am Leichnam auszuschließen. Das muss man den Angehörigen einfühlsam erklären. Denn der Wunsch, sich selbst vom Tod des geliebten Menschen zu überzeugen, ist ein zutiefst natürliches Bedürfnis und wichtig, um den Tod überhaupt begreifen zu können. Aber, die Abschiednahme ist nur aufgeschoben, nicht aufgehoben! Die Obduktion und Spurensicherung erfolgen zügig und dann wird der Verstorbene auch wieder zur Verabschiedung freigegeben.

Ich hatte schon befürchtet, dass die Angehörigen in dem Fall gar keine Möglichkeit mehr zum Abschiednehmen haben.
Bleiben wir bei diesem sensiblen Thema, wobei ich allerdings den Ball an Herrn Kästner zurückgebe: Charlotte von der Opferschutzabteilung erklärt in dem Roman einem jungen Kollegen, dass bei der Überbringung einer Todesnachricht an einen Ehepartner schnell gehandelt werden muss. Nach Öffnung der Tür müsste man sich umgehend Einlass verschaffen. Andernfalls könnte es passieren, dass nach Überbringung der schrecklichen Nachricht plötzlich die Tür zugeschlagen wird, die Polizei hilflos im Hausflur steht und nicht helfend eingreifen kann, sollte die Nachricht zu einem Kollabieren bei der aufgesuchten Person führen. Mussten Sie selbst schon einem Ehepartner oder Elternteil die Nachricht vom Tod eines geliebten Menschen überbringen?

    Tatsächlich musste ich nur zweimal in meinem Leben eine Todesnachricht überbringen. Einmal ist eine alte Dame beim Frisör in Finkenwerder einem Herzinfarkt erlegen. Die erwachsenen Kinder waren von der Frisörin angerufen worden, dass es einen Notfall gibt. Ich habe Ihnen dann gesagt, dass jede Hilfe zu spät kam und ihre Mutter verstorben ist. Beim zweiten Mal ist eine Frau von der Köhlbrandbrücke in den Tod gesprungen und wir haben dem Mann in einem Alsterclub die Nachricht überbracht. Keine leichte Aufgabe. Tatsächlich war mir das KIT zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt. Erst als ich meine Frau kennengelernt habe, erfuhr ich davon und war fortan froh, diese Form der Unterstützung für die Angehörigen und auch uns Polizisten zu bekommen.

Dass das nie eine leichte Aufgabe ist, kann sich wohl jeder vorstellen.
Ist es richtig, dass der Hamburger Hafen nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 zu einem Hochsicherheitsgebiet erklärt wurde, wie es im Krimi zu lesen ist? Wie lange ist diese hohe Sicherheitsstufe beibehalten worden? Gilt sie auch heute noch?

    Ja, der Hafen ist 2004 nach dem ISPS-Code mit einem umfangreichen Maßnahmenpaket (z.B. Zäune, strenge Zulassungskontrollen, Security …) gesichert worden, um die maritime Gefahrenabwehr zu verbessern. Das gilt heute noch und diese Maßnahmen werden auch nicht wieder zurückgenommen. Die Terrorgefahr hat sich ja leider nicht verringert.

Nein, leider nicht und ich will mir auch gar nicht ausmalen, ob sie noch einmal steigen wird.
Beherrscht einer von Ihnen beiden das Selbstverteidigungssystem Krav-Maga, das Charlotte in Ihrem Krimi angewendet hat?

Andreas Kästner:

    Ich habe Eingriffs- und Selbstverteidigungstechniken bei der Polizei gelernt. Das ist so eine Mischung aus verschiedenen Kampfsportarten. Das Training war für mich immer eine schmerzhafte Angelegenheit. Seine Frau lacht und sagt: Ich bin leider nicht besonders sportlich.

Die Landungsbrücken in St. Pauli sind mehr als einhundert Kilometer von der Nordsee entfernt, wie ich aus dem Internet erfahren habe. Dass der Tidenhub so weit zu spüren ist und im Mittel noch über dreieinhalb Meter beträgt, ist ja unglaublich! Für mich war es bei der Lektüre neu und deshalb umso bedeutender, dass es sich bei den Landungsbrücken um schwimmende Pontons handelt und damit ein Wasserbahnhof für das Anlegen von Schiffen ist.
Sie ahnen vielleicht schon, worauf ich hinauswill: Für nicht an der See lebende Menschen ist vieles unbekannt, was den Hamburgern als selbstverständlich erscheint. Ein Glossar wäre für Leute wie mich nicht schlecht gewesen, denn unter einem mit einer Leine mittschiffs und einer achtern vertäuten Barkasse, einem Schiff, das verholt wird oder einem einklarierten kann ich mir absolut gar nichts vorstellen. Natürlich sind diese Begrifflichkeiten für das Verständnis des Romans nicht vonnöten, aber es wäre doch schön, wenn… Können Sie sich vorstellen, dass jemand diese Ausführungen für „böhmische Dörfer“ hält? Haben Sie als Autoren auf die Entscheidung, ein Glossar anzufügen, überhaupt einen Einfluss?

    Ehrlich gesagt haben wir sogar überlegt, ein Glossar anzuhängen, weil wir befürchtet haben, dass es zu viele Fachbegriffe sind. Dabei haben wir versucht, uns zu beschränken oder zu erklären, und trotzdem authentisch zu bleiben. Aber: Ein Glossar am Ende des Buches lohnt meist nicht, weil es viele Leser erst am Ende der Lektüre entdecken. Dann kommt es zu spät. Und ein Glossar an den Anfang eines Romans zu stellen, fanden wir deprimierend. So nach dem Motto: „ohne Hilfe versteht man das Buch nicht“. Eine Zwickmühle.

Dann würden vielleicht Anmerkungen am Ende einer Buchseite, wie bei einer wissenschaftlichen Arbeit, helfen? Das nur mal als Möglichkeit.
Ihr zweiter Band „Tatort Hafen – Tod im Schatten der Elbflut“ ist vermutlich unter Dach und Fach, denn im Anschluss des ersten Bandes ist bereits eine Leseprobe abgedruckt. Ist die Reihe schon komplett fertig in Ihren Köpfen? Oder wissen Sie noch gar nicht, wie viele Bände es mit welchen Fällen geben wird?

    An Band 2 schreiben wir noch. Er erscheint im Dezember 2024. Derzeit plotten wir parallel den dritten Band, die Geschichte wächst und gedeiht ganz langsam. Ob es danach weitergeht, hängt davon ab, ob die Serie bei den Lesern ankommt. Wir hätten Lust, noch mehr Geschichten zu erzählen, da auch die Kollegen der Wasserschutzpolizei ihre Anekdoten in den Büchern verewigt sehen wollen und plötzlich Gesprächsbedarf haben.

Das ist ja interessant. Also wenn die Serie bei den anderen Lesern so gut wie bei mir ankommt, sollten Sie sich schon mal Notizen von den Anekdoten der Kollegen machen!
Wäre es für Sie grundsätzlich denkbar, auch eine andere Krimireihe ohne den Hintergrund der Wasserschutzpolizei gemeinsam zu verfassen?

    Im Moment sind wir sehr verliebt in das Thema „Hamburger Hafen und die Arbeit der Wasserschutzpolizei“. Selbst ich als Hamburgerin lerne jeden Tag mehr über den Hafen. Aber wir haben auch schon einen Roman gemeinsam geschrieben. „Die Freiheit so nah“ handelt von einer Männerclique in der DDR der 80er Jahre und deren innigste Freundschaft und tiefsten Verrat. Sie ist an die Lebensgeschichte meines Mannes angelehnt. Gemeinsam schreiben können wir – aber das Thema muss uns interessieren.

Ich denke, dass ich in guter Gesellschaft bin, wenn ich mit Neugier den weiteren Erlebnissen von Tom Bendixen und Jonna Jacobi entgegensehe und bedanke mich vielmals für Ihre Bereitschaft zu diesem Interview!

    Wir möchten uns für die tollen Fragen und das tiefe Verständnis des Textes bedanken! Das Interesse und die Rückmeldungen zu den eigenen Büchern sind des Autors größte Motivation. Davon zehren wir, wenn wir in unserem Kämmerchen sitzen und uns Geschichten und Figuren ausdenken.

Sehr gerne – weiterhin viel Erfolg und bleiben Sie gesund!

Tatort Hafen – Tod an den Landungsbrücken von Kästner & Kästner

Tatort Hafen - Tod an den Landungsbrücken
Knaur Verlag 2024
Taschenbuch
320 Seiten
ISBN 978-3-426-53066-5

Bildquelle: Knaur Verlag
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