Hören wird überbewertet von Cindy Klink

Hören wird überbewertetDie Worte „Hören wird überbewertet“ könnten von einem Menschen stammen, der selbst hören kann. Um so erstaunlicher ist es, dass diese Aussage ausgerechnet von Cindy Klink kommt, deren Eltern gehörlos sind und die selbst seit ihrem dritten Lebensjahr hochgradig schwerhörig ist. Die 1997 geborene junge Frau ist mit der Gebärdensprache aufgewachsen, die für sie die Muttersprache ist. Trotzdem war es für sie von jeher wichtig, sich auch in der Lautsprache verständigen zu können. Als sie mit dreizehn Jahren ein traumatisches Erlebnis hat und unter Depressionen leidet, betätigt sie sich als Bloggerin und führt ein Tagebuch. Mit diesem Ventil kann sie „Dampf ablassen“.

Doch damit nicht genug: Cindy Klink findet Trost in der Musik und entschließt sich im Jahr 2015, ein Lied von Sarah Conner in Gebärdensprache umzusetzen. Sie veröffentlicht es auf Facebook und ist bereits nach einem dritten Lied von der positiven Resonanz überwältigt. Die hartnäckige junge Frau gibt auch nicht bei einem Rap auf, der wegen der Schnelligkeit der gesprochenen Worte ungleich schwieriger umzusetzen ist. Um den Text in Gebärden verständlich zu machen, arbeitet sie drei Monate an der Umsetzung.

Cindy Klink bleibt auch nicht ein Spießrutenlauf durch die Behörden erspart, als sie einen Antrag auf einen ihr zustehenden Dolmetscher für die Berufsschule stellt. Viele überflüssige Termine nimmt sie wahr, um schließlich doch noch ihre Ausbildung zur Verwaltungsfachangestellten abschließen zu können. Das Verbot, allen Gehörlosen den Zugang auf die Achterbahn im Phantasialand zu verweigern, empfindet sie als Diskriminierung und ist davon überzeugt, dass die Verantwortlichen viel zu wenig über die Thematik Gehörloser und Schwerhöriger wissen. Auf den letzten Seiten räumt sie mit einer Reihe von Vorurteilen auf und nimmt Stellung zum Cochlear Implantat, einer umstrittenen Operation, die im günstigsten Fall zum besseren Hören führt.

Cindy Klink macht auf wenigen Seiten in ihrem Büchlein deutlich, dass bei Menschen mit eingeschränkter oder fehlender Hörfähigkeit die anderen Sinne wesentlich ausgeprägter sind. Ihre Augen sind wachsamer und ihr Spürsinn geschärft. Die Autorin zieht mit dem Komponisten Ludwig van Beethoven einen treffenden Vergleich für ihre Behauptung „Hören wird überbewertet“ heran, da ein Mensch Musik nicht unbedingt hören muss. Der nach einem Gehörleiden schließlich völlig taub gewordene Musiker hat noch mehrere Konzerte, Ouvertüren und sogar eine Oper komponiert. Mit ihren Händen bringt Cindy Klink ihre Gefühle zum Ausdruck, denn bei der Musik geht es nicht allein ums Hören, sondern ums Fühlen, wie sie immer wieder betont. Gesunde, hörende Menschen sollten sie weder in übermäßiger Lautstärke ansprechen, noch überzogene Lippenbewegungen machen. Vielmehr sollten sie ihr beim Sprechen zugewandt sein, so dass von den Lippen abgelesen werden kann. Wer der selbstbewussten jungen Frau einmal bei ausgeschaltetem Ton auf Youtube folgt, wird von ihrer Mimik und Gestik beeindruckt sein und Gänsehaut bekommen. Es bleibt zu hoffen, dass Cindy Klink mit ihren Zeilen und den sozialen Medien viele Betroffene, aber auch Hearies – so werden die Hörenden von Gehörlosen genannt – erreicht, damit es für Gehörlose und Hörgeschädigte zukünftig weniger Stolpersteine gibt.

Hören wird überbewertet von Cindy Klink

Hören wird überbewertet
Hirnkost Verlag 2018
Hardcover
96 Seiten
ISBN 978-3-947380-10-7

Bildquelle: Hirnkost Verlag
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