Während der Antiquitätenhändler und alleinerziehende Vater Terence Cave den Sonnenuntergang bewundert und im Hintergrund seine Tochter Bryony Cello spielen hört, dringen plötzlich Hilferufe ihres Zwillingsbruders Reuben zu ihm. Schnell rennt Terence nach draußen, doch noch bevor er Reuben von der Querstange eines Laternenpfahls befreien kann, stürzt dieser auf das Betonpflaster. Hilflos müssen eine Gruppe von Jungen und Terence mitansehen, wie das Opfer verblutet.
„Der fürsorgliche Mr. Cave“ sieht seine Tochter zu einer Schönheit heranwachsen, die er mit allen Mitteln beschützen will. In seiner Fantasie sieht er, wie ein Junge seinen Arm um Bryony legt, was es zu verhindern gilt. Um alle Gefahr von ihr abzuwenden, bringt er sie mit dem Auto zur Schule. Um ihr ein wenig Abwechslung zu gönnen, verbringt er mit ihr einen Urlaub in Rom. Im Petersdom, den er alleine betreten muss, da sich Bryony weigert, einen Umhang um ihre entblößten Schultern zu tragen, vernimmt er vor der von Michelangelo geschaffenen Pietá die Botschaft, dass ihn „unsägliches Leid“ erwarte, sollte er seine Tochter nicht beschützen. Voller Entsetzen entdeckt er sie später in eine Unterhaltung mit zwei Jungen vertieft vor dem Dom.
Terence Cave beschließt, seine Tochter von nun an auf Schritt und Tritt zu verfolgen, obwohl seine Schwiegermutter Cynthia dafür kein Verständnis aufbringt, die währenddessen im Laden die Stellung halten muss. Eines Abends, den Bryony angeblich bei ihrer Freundin Imogen verbringen will, trifft sie der Vater beim Tanzen an und stellt sie zur Rede. Da sie sich weder für die Lüge entschuldigt, noch einen Fehler zugibt, führt Terence strengere Regeln ein. Für ihren bevorstehenden fünfzehnten Geburtstag geht er mit Bryony und Cynthia shoppen, doch was für die Großmutter ein süßes Outfit ist, kann der Vater nur einer Hure zuordnen.
Obwohl er gegen die von seiner Schwiegermutter ausgerichtete Party für „Girls only“ ist, setzt er seine Tochter bei Cynthia mit dem Auto ab. Natürlich wartet er das weitere Geschehen ab und ist auf die Gäste gespannt. Mit Entsetzen stellt er fest, dass Bryony mit ihrer Freundin Imogen in ein Taxi steigt. Er verfolgt das Taxi bis zu einem Tanzlokal, wo es zu einer Auseinandersetzung kommt, Terence einen Filmriss hat und mit blutendem Gesicht aus dem Lokal geworfen wird. Immer besessener ist er davon getrieben, Bryony insbesondere vor Denny zu beschützen, dem nicht wirklich etwas an seiner Tochter liegen kann. Schließlich hört der besorgte Vater mittels eines Babyfons alle Gespräche seiner Tochter ab, im Glauben, das Beste für sie zu tun.
Matt Haig lässt in seinem Roman Der fürsorgliche Mr. Cave*, der aus dem Englischen von Sabine Hübner übersetzt wurde, Terence in der Ich-Form berichten, wobei dieser immer wieder Bryony direkt, wie in einem langen Brief, anspricht. In Rückblicken erzählt er ihr vom Tod seiner Mutter, als er selbst erst drei Jahre alt war. Sie soll auch erfahren, was bei dem Einbruch ins Antiquitätengeschäft geschah, als Einbrecher die Herausgabe von wertvollen Tintenfässern verlangten, was den Tod der Mutter von Reuben und Bryony zur Folge hatte. Der Vater bringt ihr einen Ausflug mit ihrem Zwillingsbruder Reuben in Erinnerung, als sie erst sechs Jahre alt war, weiß von einer Szene im Bad mit Reuben zu berichten, bei dem dieser sich ein Muttermal mit der Zahnbürste bis aufs Blut wegrubbeln wollte und gesteht ihr, das Babyfon zu Abhörzwecken benutzt zu haben.
In seinem Wahn, der sich im Verlauf des Plots immer mehr manifestiert, gleitet über Terence Augen immer wieder ein schwarzer Schleier. In diesem Zustand dringt sein Sohn in sein Bewusstsein und er glaubt das zu sehen, was ihm einst widerfahren ist. Er glaubt, Reuben tatsächlich auf der Straße zu begegnen und redet mit ihm. „Ich war er, so wie er ich war.“ Von einem Dämon besessen, begeht Terence Dummheiten, die er im Nachhinein zwar bereut, aber trotzdem kann er nicht damit aufhören, seine Tochter weiterhin zu beschatten. Statt sie, wie erhofft, so zur Besinnung zu bringen, redet sie kaum noch mit ihm. Wenn überhaupt, straft sie ihn mit verachtender Ablehnung.
Die Geschichte ist alles andere als 08/15. Anspruchsvolle Leser kommen hier voll auf ihre Kosten. Je tiefer der Protagonist seinem Wahn verfällt, desto spannender wird es. Immerhin stellt sich die Frage, ob der Vater seiner Tochter mit seinen Nachforschungen einen Schritt voraus ist, oder ob Bryony sich tatsächlich mit Denny in Gefahr begibt, dessen Vater Terence ihm nur zu gut bekannt und mit seinem eigenen Schicksal verwoben ist. Ein meisterhaftes literarisches Werk mit einem ungeahnten Ausgang!
Der fürsorgliche Mr. Cave von Matt Haig
Übersetzung von Sabine Hübner
Droemer Verlag 2024
Taschenbuch
256 Seiten
ISBN 978-3-426-30830-1
Gesprochen von: Mark Waschke | Spieldauer: 7 Std. und 35 Min.