Kraftwerk und die Erfindung der elektronischen Pop-Musik!
Als im November 1974 das Album Autobahn* der Düsseldorfer Band Kraftwerk erschien, blieb die Revolution der Popmusik in Deutschland zunächst mehr als ein Jahr unbemerkt. Die beiden Bandgründer Ralf Hütter und Florian Schneider sowie wechselnde Mitspieler machten Musik mit Maschinen: Sie ersetzten Gitarren und Drums durch technische Apparaturen, den Gesang durch künstliche Vocals sowie Computerstimmen und erschufen ein popkulturelles Gesamtkunstwerk. Innerhalb von sieben Jahren produzierten sie ein Konzeptalbum nach dem anderen und entwickelten einen Sound, der die Popmusik nachhaltig prägte. Ihr Stil inspirierte die Entstehung von Techno, House und Synthpop. Das liegt inzwischen fünfzig Jahre zurück, und Kraftwerk existiert weiterhin, auch wenn mittlerweile andere Bands die musikalische Führung übernommen haben.
Das Sachbuch Wir sind die Roboter* von Uwe Schütte ist nicht chronologisch, sondern thematisch gegliedert, um das Gesamtwerk von Kraftwerk besser verständlich zu machen. Der Autor schildert erstmals die Entwicklung ihrer Bühnenpräsenz – von den ersten Konzerten als Lokalband in Düsseldorfer Galerien bis hin zu ihren Auftritten in internationalen Museen und Galerien. Er beleuchtet, wie die Alben Autobahn*, Trans Europa Express* und Tour de France* miteinander verbunden sind und erläutert, warum so unterschiedliche Alben wie Radio-Aktivität* und Computerwelt* wiederum ein Paar bilden, während dem Album Mensch-Maschine* ein eigenes Kapitel eingeräumt wird.
Ihre Popularität erlangte die Band im englischsprachigen Raum, indem sie ironisch mit ihrer typisch deutschen Identität spielte, berichtet Uwe Schütte. Sie suchten ihren eigenen Sound, sangen zunächst nur in deutscher Sprache und entwickelten die „industrielle Volksmusik“ der Zukunft. Anders als ihre Krautrock-Zeitgenossen, die sich für englische Bandnamen entschieden oder englische Texte sangen, verweigerten sie sich den amerikanischen Traditionen von Blues, Jazz und Rock und strebten an, einen deutschen Stil moderner Popmusik zu schaffen. Um radikal mit den Konventionen anderer Rock- und Popgruppen zu brechen, schufen sie eine anonyme Gruppenidentität und begannen, Roboter-Attrappen als Doppelgänger einzusetzen.
Das künstlerische Gesamtpaket Kraftwerk erklärt der Autor in einem weiteren Kapitel, in dem er der Frage nachgeht, ob Kraftwerk oder die Beatles einflussreicher waren. Er erläutert den bahnbrechenden Einsatz von visuellen Elementen wie Bühnenbild und Albumdesign, die Teil des Gesamtkunstwerks waren. Bevor er auf das Frühwerk der Band eingeht, gewährt er dem Leser Einblicke in das Düsseldorfer Kling-Klang-Studio der Band, in dem die Mythen um Kraftwerk durch Informationsverknappung entstanden sind.
Das Sachbuch Wir sind die Roboter* ist weder eine Bandbiografie noch eine kulturwissenschaftliche Studie, wie Uwe Schütte betont. Es handelt sich vielmehr um einen persönlichen Versuch, Kraftwerk zu begreifen, wodurch eine gewisse Subjektivität entsteht. Obwohl der Autor sich eine Leserschaft wünscht, die nur ein vages Wissen über Kraftwerk hat, richtet sich das Buch vor allem an Kraftwerk-Fans oder Leser mit großem Interesse an elektronischer Musik und ihrer Entwicklung. Ohne umfangreiche Vorkenntnisse ist es schwierig, einen Zugang zu dem Werk zu finden, das einen akademischen Ansatz verfolgt und für das Uwe Schütte über dreihundert Quellen genutzt hat. Durch den gezielten Einsatz von Zitaten versucht er, dem Leser seine eigene, jedoch stark einseitige Perspektive zu vermitteln. Das Buch wirkt sehr langatmig, da der Autor jedes Album ausführlich behandelt und sich eingehend mit dem kulturellen Kontext beschäftigt. Obwohl Wir sind die Roboter* eine tiefgehende Analyse der Bedeutung von Kraftwerk in der Musikgeschichte liefert, ist es vor allem Lesern mit starkem Interesse an diesem Thema zu empfehlen.
Wir sind die Roboter von Uwe Schütte
btb Verlag 2024
Klappenbroschur
384 Seiten
ISBN 978-3-442-77474-6