Schneesturz von Julia Heinecke

SchneesturzDer historische Roman „Schneesturz“ von Julia Heinecke stützt sich auf ein Unglück, das am 24. Februar 1844 den Königenhof im Wagnerstal nach einem Lawinenabgang unter sich begraben hat. Um eine Vorstellung von den Menschen, die später von den Schneemassen verschüttet wurden zu haben, setzt der Plot elf Jahre vor der Katastrophe an: Martin Tritschler ist der neue Besitzer des von einem Wald umgebenden Königenhofes, der ihm ein gutes Einkommen durch den Verkauf des Holzes sichern soll. Tatsächlich ist er schon nach einem Jahr schuldenfrei, doch nur, weil er mehr Bäume als erlaubt abholzt und den Hang kahlschlägt. Die Warnungen eines Nachbarn, die nicht nur dem neuen Waldgesetz gelten, sondern vor allem der damit verbundenen Gefahr, dass die abgeholzten Tannen keinen Schutz mehr bieten, hat er allesamt in den Wind geschlagen.

Unterdessen bringt Martins Ehefrau Walburga in der elften Schwangerschaft Zwillinge zur Welt und mit vierundvierzig Jahren im Jahr 1838 sogar das dreizehnte Kind, obwohl Martin der Magd Gertrudis nachstellt. Da er die Magd für sich beansprucht, muss sie ihren Geliebten Wendelin, der als Knecht auf dem Königenhof arbeitet, heimlich treffen, was jedoch nicht immer gelingt und dann Martins Unmut heraufbeschwört. Ein weiteres Ärgernis gilt seiner störrischen Tochter Bibiane, die er Josef versprochen hat. Mit der Eheschließung sollte sie die Hochdobelbäuerin werden. Doch Bibiane liebt Philo, den Sohn von Philipp und Maria Beha, die im nur zweiunddreißig Schritte entfernt gelegenen Königenhäusle wohnen. Martin schäumt vor Wut, als ihm seine Tochter gesteht, ein Kind von Philo zu erwarten. Seine Frau Walburga treibt ihn zusätzlich mit dem nicht endend wollenden Streit zur Verzweiflung, den sie mit Clara führt, die mit ihrem Ehemann Hilar als Untermieter bei ihnen wohnt. In diesen Tumult hinein hören alle erschrocken, wie ein erstes Schneebrett abgeht.

Ängstlich gehen die Frauen zu Bett, während die Männer noch Karten spielen und reichlich dem Alkohol zusprechen. Die sich im Königenhäusle zum Schlafen hingelegte Maria, die von Philipps Schnarchen wachgehalten wird, vernimmt plötzlich ein gewaltiges „Schausen“. Sie weckt ihren Mann, der sie jedoch beruhigt und alles dem Sturm zuschreibt. So schlafen beide friedlich und entdecken erst am nächsten Morgen, dass eine Lawine den nur wenige Schritte entfernten Königenhof völlig weggerissen hat. So schnell wie möglich wird aus dem eine Stunde zu Fuß entfernt gelegenen Neukirch Hilfe geholt, und mit dem Mut der Verzweiflung schaufeln die Helfer den Schnee beiseite. Doch das für den Lawinenabgang verantwortliche Tauwetter schlägt schon wieder um und zunehmend gefrierender Schnee erschwert die Bergung.

Um das Alltagsleben Mitte des 19. Jahrhunderts in ihrem historischen Roman „Schneesturz“ so realistisch wie möglich darzustellen, hat sich Julia Heinecke, wie sie in ihrer Danksagung erklärt, von verschiedenen Seiten beraten lassen. So hat sie beispielsweise die „Cego-Szenen“, bei denen es um das Kartenspiel der Männer geht, die sich damit die langen Winterabende vertrieben haben, von einem Professor „auf ihre richtige Spielart“ überprüfen lassen, ein Heimatforscher hat ihr „wertvolle Hinweise zum Unglück und zur Uhrmacherei im Schwarzwald“ geliefert und von einem Pfarrer hat sie sich bezüglich der zur damaligen Zeit üblichen tröstenden Worte beraten lassen.

Ein ganz besonderes Lob muss der Autorin für die Darstellung der unter den Schneemassen eingeschlossenen Menschen ausgesprochen werden, in deren Nöte und Ängste sich der Leser gut hineinversetzen kann. Als ein Nachbar vom Königenhof, der Hilfe holen sollte, mitten in einen Gottesdienst in Neukirch platzt, woraufhin der Pfarrer alle Kirchenbesucher zum sofortigen Aufbruch auffordert, erzeugt das beim Leser einen über den Rücken laufenden Schauer. Die Vorstellung, wie damals ein ganzes Dorf in der Not zusammengehalten hat und versucht, Menschen unter den Trümmern zu bergen, fällt nicht schwer. Julia Heinecke versteht es, die Schlaufe immer enger zu ziehen und ihre Leser von der ersten bis zur letzten Seite an den Plot zu binden.

Schneesturz von Julia Heinecke

Schneesturz
Gmeiner Verlag 2022
Taschenbuch
251 Seiten
ISBN 978-3-8392-2855-5

Bildquelle: Gmeiner Verlag


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