In einer ziemlich wahren Geschichte aus Brasilien ist Onkel Flores ein Schneider. Sein Neffe Edinho hat bereits viel von ihm gelernt, während er die Nachmittage bis zur Heimkehr seiner Mutter von der Arbeit bei seinem Onkel verbracht hat. Dieser erzählt ihm viel davon, wie es früher war, als der Fluss Velho Chico noch sauberes Wasser führte und die Lavadeiras, die Wäscherinnen, dort ihre Wäsche waschen konnten. Nachdem Fabriken gebaut wurden und auch Wohnraum für die Arbeiter geschaffen werden musste, wandelte sich das Dorf Pinbauê in eine Stadt.
Dem Neffen fällt auf, dass sein Onkel mit der Zeit nur noch graue Arbeitskleider für die Fabrik näht. Doch irgendwann ändert sich auch das, denn die einheitlichen Arbeitsanzüge werden in einem fernen Land hergestellt. Sie werden auch nicht mehr wie früher ausgebessert, sondern einfach durch neue Kleidung ersetzt, weil das billiger ist. Der Onkel bekommt keine Aufträge mehr und wird arbeitslos. Bei gemeinsamen Spaziergängen sehen sie die mit grauem Staub bedeckten Häuser in Pinbauê. Die Wäsche kann nicht mehr im Fluss gewaschen werden, und wo der Vater des Neffen früher volle Fischernetze aus dem Fluss zog, finden sich heute nur noch kleine Fische darin. Doch dann entdeckt Edinho in einer Kommode seines Onkels bunte Stoffe und schlägt vor, für jedes Haus Vorhänge zu nähen. Bald kaufen die Bewohner nicht nur Vorhänge, sondern bestellen auch bunte Kleider für die Feste wie Hochzeiten, Taufen und Geburtstage. Inzwischen sind Jahre vergangen und der Neffe ist in die Fußstapfen von Onkel Flores getreten, indem er selbst schneidert.
Edinho erzählt die Geschichte von Onkel Flores* in der Ich-Form. Im Nachwort schreibt die Autorin, dass der Ort Pinbauê zwar fiktiv ist, jedoch für eine der im Bundesstaat Minas Gerais in Brasilien existierenden kleinen Städte stehen könnte, die ihre Heimat repräsentieren. Sie sieht durchaus, dass die Fabriken den Menschen Arbeit gebracht haben, doch auf der anderen Seite der Natur geschadet haben. Der Plot zeichnet für ein Kinderbuch eine ungewöhnlich düstere Prognose und stimmt die Kleinen, denen das Buch ab einem Alter von fünf Jahren vorgelesen werden kann, nachdenklich. Doch gerade das zeugt von dem Mut der Autorin, die schon Kinder an eine kritische Auseinandersetzung mit einem Thema heranführt, das alle Menschen auf der Welt betrifft. Bei aller scheinbaren Ausweglosigkeit macht sie deutlich, dass jede noch so kleine Bemühung um Veränderung die Menschen froh werden lässt und damit ihre Freude am Leben steigert. Die detailgetreuen Illustrationen von Eymard Toledo veranschaulichen in dem Kinderbuch Onkel Flores* auf sehr eindrucksvolle Weise das Leben in Brasilien, und ein beigelegtes Kärtchen bietet für den Leser eine Aussprachehilfe der portugiesischen Sprache.