Kleine Geschichte von der Frau, die nicht treu sein konnte von Tanja Langer

Kleine Geschichte von der Frau, die nicht treu sein konnteSeit fast zehn Jahren ist die neununddreißigjährige Eva mit Stefan, einem Klarinettisten, verheiratet, mit dem sie drei Kinder hat. Ihrem Mann kann sie nicht treu sein und schläft mit anderen, woraus sie kein Geheimnis macht. Mit Sibylle und Ludwig, sie hat eine eigene Praxis, er ist Onkologe, und deren beiden Kindern, verbringen sie die Osterferien auf Sizilien. Eines Tages soll Eva, die Kunstgeschichte studiert hat und für ein Auktionshaus in Berlin arbeitet, für den Opernsänger Wilhelm von Herzberg einen Holzschnitt von Edvard Munch in Bergen ersteigern. Doch als sie eines seiner Bilder, „Die Frau in drei Stadien“, erblickt, erschrickt sie und nichts ist in ihrem Leben mehr so wie es war.

Tanja Langer hat ihren Roman „Kleine Geschichte von der Frau, die nicht treu sein konnte“ zeitlich im Jahr 2002 angesiedelt, worauf der im Plot erwähnte und auf Schwanenwerder wütende Orkan sowie die wenig später eintreffende Jahrhundertflut der Elbe hindeuten. Neben den Ausführungen zu den Tagesabläufen beider Familien, zu denen sowohl die beruflichen, wie auch die Beziehungen der Eheleute untereinander gehören, nimmt das Leben des bereits 1944 verstorbenen norwegischen Malers Edvard Munch und die von Giacomo Puccini komponierte Oper Tosca einen breiten Raum ein.

In dem sehr speziellen und surreal wirkenden Roman führt die Protagonistin eine Unterhaltung mit Edvard Munch, der sich seinerseits mit Tulla Larssen unterhält, die eine Geliebte des Künstlers war. Eine von der Autorin akribisch durchgeführte Recherche seines Lebens, zeichnet ein weitreichendes Bild des Malers, angefangen bei seinen Familienverhältnissen bis zu seinem Aufenthalt in einer Nervenheilanstalt, wobei auch die beschriebene Revolverszene überliefert ist. Auf geniale Weise ist Tanja Langer eine Bildbeschreibung gelungen und Aussagen seiner Werke hat sie gekonnt mit dem Leben von Eva verwoben. Gleiches gilt für die im Jahr 1900 uraufgeführte Oper Tosca, an deren Aufführung Stefan als Klarinettist beteiligt ist und deren dramatische Handlung Einfluss auf die Handlungspersonen nimmt.

Eva ist auf der Suche nach sich selbst. Als ihr Ehemann fremdging, war sie entsetzt, kann ihm jedoch auch nicht treu sein und hat diverse Verhältnisse. Immer wieder thematisiert die Autorin das viele Jahre zurückliegende und nicht erklärbare Verschwinden von Evas Mutter. So wechselt der Erzählstil plötzlich nach drei Fünfteln der Handlung in eine Ich-Form, die zurück ins Jahr 1979 führt. Interessant auch, dass der Leser in diesem Kapitel mit du angesprochen wird. Einige Male vermittelt die Geschichte fast schon den Eindruck, als würden die Autorin und der Leser eine Gemeinschaft bilden, wenn wie selbstverständlich davon die Rede ist, dass WIR vorgegriffen haben oder WIR gemeinsam etwas betrachten sollen.

Der Roman „Kleine Geschichte von der Frau, die nicht treu sein konnte“ greift eine Vielzahl von Themen auf, die kaum unterschiedlicher sein könnten: Krebserkrankung, den Roman „Die Blechtrommel“, Zwangsarbeiter, Ärzte ohne Grenzen, Flüchtlinge, Mafia, russische Gefangenschaft, um nur einige zu nennen. Tanja Langer lässt mit viel Feingefühl in menschliche Abgründe blicken und zeigt einen Menschen einmal so, wie ihn seine Mitmenschen sehen, ein anderes Mal seine wahre Seite. Insgesamt geht sie mit der wörtlichen Rede sehr sparsam um. Ihr literarisches Talent zum Erzählen geht an einigen Stellen über eine Vielzahl an Seiten sogar so weit, dass der Leser kaum in der Lage ist, das Gelesene einer dritten Person wiederzugeben. Einfach zu lesen ist der Roman nicht und es darf auch kein rasanter Ablauf der Geschehnisse erwartet werden. Und klein im Sinne von kurz ist die Geschichte ganz und gar nicht, dafür in der Darstellung der Beziehungen umso lebensnaher!

Kleine Geschichte von der Frau, die nicht treu sein konnte von Tanja Langer

Kleine Geschichte von der Frau, die nicht treu sein konnte
Mitteldeutscher Verlag 2021
Broschur
512 Seiten
ISBN 978-3-96311-539-4

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Bildquelle: Mitteldeutscher Verlag


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