Der Apfelsammler von Anja Jonuleit

Der ApfelsammlerHannah, die vor zweiundzwanzig Jahren im Alter von neun Jahren ihre Eltern verlor, wird von Roberta Rossi telefonisch über den Tod ihrer Tante Elisabeth, kurz Eli genannt, benachrichtigt. Drei Wochen später macht sie sich auf nach Umbrien, wo sie den Verkauf des Sommersitzes ihrer Tante in Castelnuovo in die Wege leiten muss. Der Tod von Eli hat sie sehr getroffen, zumal sie zeitgleich ihre Beziehung zu einem verheirateten Mann beendete. In dem Sommerhaus findet Hannah an sie gerichtete Zeilen ihrer Tante, die sie verwundern und offensichtlich mit ihrer eigenen Vergangenheit verknüpft sind. Da Hannah Journalistin ist, will sie die Zeit in Castelnuovo für einen Artikel nutzen. Im Ort trifft sie auf Matteo Di Lauro, der von den Leuten nur „Der Apfelsammler“ genannt wird, weil er vor dem Aussterben bedrohte Obstsorten retten will. Um mehr über diesen eigensinnigen Mann zu erfahren, will sie ihm, wie es zuvor Eli tat, bei der Ernte behilflich sein. Doch sie ahnt nicht, dass ihr zukünftiges Leben dadurch in eine völlig andere Richtung gelenkt wird.

Immer tiefer taucht Hannah in die Vergangenheit ihrer Tante ein, die in einem Einödhof in Mosisgreuth, einem kleinen Dorf im Allgäu, aufgewachsen ist und schwer unter ihrem tyrannischen Vater leiden musste. Von ihrer Neugier getrieben erfährt Hannah, dass Eli eine unglückliche Liebe mit dem italienischen Gastarbeiter Georgio verband und sogar ein Kind geboren hat, was so gar nicht zu der Tante passt, die sie kannte. Noch sagen Hannah die Worte von dem verrückten, aber von allen Dorfbewohnern für harmlos gehaltenen Peppino nichts und sie hofft von Roberta Rossi, der Freundin ihrer Tante, die sie seinerzeit auch über den Tod informierte, mehr zu erfahren. Und Hannah kann sich auch noch keinen Reim darauf machen, warum Maddalena Bartoli ihr feindlich auf Nachfragen begegnet und warum die Mutter von Matteo Di Lauro in ihrer Haltung so furchtbar grausam ist.

Anja Jonuleit erzählt den Roman „Der Apfelsammler“ in zwei Handlungssträngen, wobei sie Hannah im Wechsel mit Elisabeth in der Ich-Form aus ihrem Leben und ihren Erinnerungen berichten lässt. Jede Mutter kann das grausame Schicksal nachempfinden, das Eli wegen ihres herrschsüchtigen und unmenschlichen Vaters erleiden musste. Die immer neuen Enttäuschungen, die bis zu ihrem Tod für ein stetes Auf und Ab in ihrem Leben gesorgt haben, lassen wohl kaum eine Mutter kalt und vielen Frauen wird ihr Stimmungswechsel von freudiger Erwartung, die einer Wut Platz macht und schließlich in Besorgnis mündet, nicht fremd sein. Die Autorin fesselt insbesondere eine weibliche Leserschaft zunehmend an den Roman und quält sie geradezu damit, wenn sich in den Geschichten von Hannah oder Eli die Spannung bis zum Äußersten steigert, um dann in den anderen Handlungsstrang zu wechseln.

Besondere Authentizität verleiht Anja Jonuleit dem Roman, indem sie reale zeitgeschichtliche Ereignisse mit einfließen lässt. Wie ihre Romanfigur Eli, die durch ihre Liebe zu Georgio die italienische Sprache erlernt hat, spricht auch die Autorin italienisch und mit den vielen kleinen Übersetzungen und auch der Aufzählung von Landschaft und Orten kann sie ihre Liebe zu Italien nicht leugnen. Mit „Der Apfelsammler“ ist Anja Jonuleit ein großartiger Roman über die Liebe, Bitterkeit und verloren gegangene Jahre gelungen, der an keiner Stelle ins Triviale abdriftet und mit der Figur Hannah auch ironische Züge aufweist.

Der Apfelsammler von Anja Jonuleit

Der Apfelsammler
dtv 2014
Klappenbroschur
368 Seiten
ISBN 978-3-423-26017-6

Bildquelle: dtv
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