Angstrausch von Sarah Lotz

AngstrauschAuf dem Mount Everest gammeln nicht nur leere Sauerstoffflaschen und anderes Zubehör vor sich hin, sondern seit der Erstbesteigung im Jahr 1953 haben sich neben Ausscheidungen auch noch über zweihundert Leichen angesammelt, deren genau Zahl niemand zu beziffern weiß. Simon Newman, der Protagonist in dem Thriller „Angstrausch“ von Sarah Lotz, ist entschlossen, die Toten auf dem höchsten Friedhof der Welt zu filmen, nachdem ihn sein Freund Thierry dazu überreden konnte.

Simon und Thierry betreiben eine Website. Um diese für Werbekunden interessant zu machen, ist Simon bereit, mit dem Höhlenkletterer Ed in eine gesperrte Höhle zu steigen, obwohl er über keinerlei Erfahrung verfügt. Dort will er die Leichen von drei Studenten finden und filmen. Als er übermütig wird und die Gefahr des plötzlichen Wasseranstiegs unterschätzt, rettet Ed ihm das Leben. Doch der ansteigende Wasserspiegel versetzt Simon in Todesangst und in seiner Verzweiflung richtet er die Kamera – quasi für die Nachwelt – auf sich selbst. Während Ed in der Höhle stirbt, wird Simon später befreit. Seine im Angesicht des Todes gesprochenen Worte lädt Thierry auf YouTube hoch und löst damit einen Hype aus.

Ein Kommentar auf der Website gibt schließlich den Ausschlag: Simon schließt sich einer Expedition auf den Mount Everest unter Führung von Tadeusz an, um tote Bergsteiger zu filmen. Allerdings hat Simon nicht, wie von Thierry behauptet, die Eigernordwand im Alleingang bezwungen, so dass er aufpassen muss, sich in Gesprächen nicht zu verraten. Als er hört, dass Expeditionsmitglied Mark nicht den Gipfel zum Ziel hat, beschließt er, nur mit ihm und Sherpa Mingma aufzubrechen. Doch dann erhält dieser über Funk einen Notruf und muss die beiden alleine zurücklassen.

Sarah Lotz hat ihren Thriller „Angstrausch“ in drei Teile gegliedert. In dem ersten Teil erzählt Simon in der Ich-Version von der gefährlichen Höhlenkletterei, bei der Ed ums Leben kommt. Da die Autorin selbst mit ihrem Ehemann in südwalisischen Höhlen Klettererfahrungen gesammelt hat, sind die Ausführungen sowohl informativ, als auch spannend. Doch dann folgen im zweiten Teil langatmige Tagebucheinträge von Juliet, die den Mount Everest über den Nordsattel besteigen will. Während der zermürbenden Wartezeit, die sie im Basislager verbringen muss, erinnert sie sich daran, vor einem Jahr bei einer gescheiterten Expedition Walter verloren zu haben. Wiederholt schreibt sie von ihrem Sohn Marcus, für den sie all die Strapazen auf sich nimmt. Juliet steht unter dem Druck, vor ihrer Konkurrentin, die über den Südsattel aufsteigt, den Gipfel zu erreichen. Immer öfter fühlt sie sich von einer unsichtbaren Gestalt verfolgt.

Dem Leser wird die Rolle von Juliet erst im weiteren Handlungsverlauf klar, wenn im zweiten Teil Simon von den Strapazen der Bergsteiger erzählt, die mit Kopfschmerzen, Atemnot, Appetitlosigkeit und Übelkeit zu kämpfen haben. In diesem Zusammenhang hat die Autorin das bei Bergsteigern gefürchtete Hirnödem sowie die Hypoxie, den Sauerstoffmangel, sehr authentisch beschrieben, da sie sich vor Ort in einem Basislager von Sherpas beraten ließ. Im dritten Teil versucht Simon letztlich zu ergründen, was es mit den Sinnestäuschungen von Juliet auf sich hat, zumal auch er sich seit dem Gang in eine Höhle von einem „Dritten Mann“ verfolgt fühlt. Um das zu erkunden, steigt er erneut, aber alleine in die Höhle.

Bei dem von Sarah Lotz in ihrem Thriller „Angstrausch“ erwähnten „Green boots“ steht allerdings nicht fest, dass es sich dabei um die Leiche von Tsewang Paljor handelt. Spekulationen gehen allerdings in diese Richtung und besonders pikant ist, dass die Leiche im Jahr 2014 verschwand. Neben den Romanfiguren bestieg Wanda Rutkiewicz tatsächlich als erste Frau im Jahr 1986 den K2 und schleppte sich mit gebrochenem Bein 150 km über schweres Terrain bis zum Basislager. Überliefert ist auch die nur in einem Nebensatz erwähnte Tatsache, dass sich Aron Ralston im April 2003 seinen eingeklemmten Arm abschnitt, um zu überleben.

So interessant einige Ausführungen sicherlich für Höhlenkletterer oder alpine Bergsteiger sind, so täuscht doch nichts darüber hinweg, dass sich der Plot über weite Strecken langatmig hinzieht. Einzig die flapsigen Aussprüche von Simon, der sich immer wieder ein „beschissenes Arschloch“ schalt und den selbst in schwierigen Situationen sein teilweise bissiger Humor nicht verlässt, motivieren zum Weiterlesen. Das ist besonders in den kursiv gedruckten Passagen der Fall, in denen er sein Gewissen sprechen lässt und mit kaum zu überbietendem Sarkasmus für Lesevergnügen sorgt. Dass „es einem eiskalt den Rücken runterläuft“, wie es in einem Zitat auf dem Cover heißt, ist allerdings nicht nachvollziehbar.

Angstrausch von Sarah Lotz

Angstrausch
Übersetzung von Thomas Bauer
Goldmann Verlag 2018
Klappenbroschur
464 Seiten
ISBN 978-3-442-48737-0

Bildquelle: Goldmann Verlag
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